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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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gar nicht so falsch; denn eigentlich hätten wir und nicht dumme Mäuslein tätig werden müssen. Grund genug, sagte sie, hätten wir allemal gehabt.
    Um in Stege und Klintholm Havn Gebühren zu sparen, ankert »Die Neue Ilsebill« an einem Sonntag vor Møns Klint, um am Montag Kurs auf Gotland zu nehmen. Nachdem mir unser Herr Matzerath, den Fall Malskat betreffend, letzte Anweisungen gegeben hat, beschließt er, am Mittwoch noch eine Münzauktion zu besuchen, am Donnerstag abzureisen, freitags Polen zu durcheilen und am Sonnabend vor Anna Koljaiczeks Geburtstag in der Kaschubei zu sein. Weil ich so will, wird sich seine Abreise auf Freitag verschieben; doch an einem Sonntag soll es geschehen sein.
Sonntage eignen sich, sagte die Rättin, von der mir träumt. Sonntage waren an sich katastrophal. Dieser siebte Tag einer verpfuschten Schöpfung war von Anbeginn ausersehen, sie wieder aufzuheben. Solange es Menschen gab, wurde jeweils am Sonntag der konnte auch Sabbath oder sonstwie heißen die vergangene Woche für null und nichtig erklärt.
Kurzum! rief sie, wie immer, wenn meine Bedenken Dieses Gequengel! ihrem Redefluß querlagen, kurzum: Bei aller Undurchlässigkeit der Kontrollsysteme herrschte in beiden Zentralbunkern regelrecht Sonntagsstimmung. Auf allen Monitoren und breitflächig die Kontinente fassenden Bildschirmen lag besonderer Glanz. Eine gewisse, nennen wir es globale Vorurlaubslaune machte sich breit. Obgleich in den Großräumen keine Fliege war, summte es, wie nur jene den Sonntagen eigene Langeweile summt. Wer an des Menschen Tun und Lassen Gefallen fand, konnte meinen, es ist wie am siebten Tag: alles wohlgetan, wenn auch im einzelnen verbesserungswürdig.
Natürlich gab es außerhalb der Zentralbunker Miesmacher und Schwarzseher genug, die auch am Sonntag das Haar in der Suppe suchten; dennoch konnte man mit sich zufrieden sein. Zwar stand Macht gegen Macht in Waffen, doch hatte sich Macht gegen Macht versichert: durch sorgsam abgestuften Schrecken, mit Hilfe sich überwachender Überwachung und durch Verlagerung der Verantwortung auf Chips und Klips, so daß dem menschlichen Pfusch, dieser seit Noah nachgewiesenen Anfälligkeit für regelwidriges Verhalten, kein für Entscheidungen freier Raum geblieben war; jener herkömmliche Unsicherheitsfaktor, der so liebenswerte wie spontane, der a priori fehlhandelnde Mensch war dienstleistend nur noch sekundär da: nicht mehr verantwortlich.
Unbeschwert, entbunden, im höheren Sinne frei sahen wir ihn. Deshalb durfte er von Monitor zu Monitor einen Scherz wagen. Zwar nicht ausdrücklich, aber mit stiller Nachsicht war ihm erlaubt, alberne Wörter einzugeben oder die Baseballergebnisse im sonntäglichen Bereich der einen Schutzmacht, die Fußballergebnisse des Wochenendes im anderen Schutzmachtbereich zu speichern und witzig zu kommentieren, solange nichts auf den Großschirmen lief und da lief nichts. Oh, schöne Übereinstimmung! Man war auf letztem Erkenntnisstand und zeigte kindliche Freude über soviel Rundumwissen. Weltzeit und Ortszeit erlaubten Vergleiche, nach denen der Sonntag hier morgendlich schimmerte, dort sich schon neigte. Routineabfragen machten alles noch sicherer. Überdies wußte man, daß die Verantwortung anderswo häuslich war. Man schob Sekundärdienst und konnte nichts falsch machen.
Die Weltund Ortszeit verging. Dynamo Kiew und die Los Angeles Dodgers hatten gewonnen. Leichte, keineswegs sensationelle Verschiebungen auf den Tabellenplätzen. Sonstige Nachrichten von überwiegend freundlicher Tendenz. Nirgendwo Erdbeben oder Sturmfluten. Keine Flugzeugentführung, nicht mal ein Putsch wurde gemeldet. Einzig die keinem Kontrollinstrument anbefohlenen Fremdgeräusche in den zentralen Computern waren nicht vorgesehen; nach eher zufälligem Köttelfund mußte ein minimales Knistern zu spät! als eigenständige Kraft erkannt werden.
Wir kennen den Sonntag nicht, sagte die Rättin. Doch wußten wir, daß sich das Menschengeschlecht im Herrschaftsbereich der Schutzmächte Sonntage leistete und sich an Sonntagen weltweit schläfrig, doch unterschwellig gereizt zeigte. Die Menschen schienen uns immer schon zu allem Möglichen und zum Gegenteil alldessen zugleich befähigt zu sein. So kannten wir sie: unkonzentriert, weil gedankenverloren, Wünschen oder Verlusten nachhängend, Liebe missend, Rache suchend, unschlüssig zwischen Böse und Gut.
Wir stellten fest, daß der an sich gespaltene Mensch an Sonntagen besonders vielteilig

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