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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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ich Meereskunde zu Anfang und nicht erst auf die Dolmetscherschule gelatscht und noch ein Diplom und noch eins, damit ich als Hausfrau und zwar mit Diplom. Aber nein! Ein Baby und noch eins und noch eins und alle zu früh. Und die Scheidung zu spät. Und der neue Kerl viel zu früh. Und jetzt, wo ich anfange, ich selbst zu sein, einfach nur ich zu sein, werde ich viel zu früh Großmutter, ist das nicht komisch?«
»Mann!« ruft die Alte, die für niemand strickt, sondern Mohrrüben putzt, »Mann! Seid ihr Weiber durchgedreht. Als wenn der Dreck, der überall rumliegt, nur Männerkacke, ausgemacht Männerkacke wäre. Ich hatte nur einen und der ist tot. Der war wie er war, und den hab ich gewollt. Weiß nicht, ob der zu früh oder zu spät. War da und blieb. Bis er mir weggestorben ist Knall auf Fall. Hat aber doch nicht Platz gemacht für andere Kerle. Nee, der ist immer noch. Und ist auch nicht halb und halb. Der ist wie er war. Na, einfach nicht, eher quer. Hat auch seine Dinger gedreht. Und was für Dinger, oh Gott! Hab ganz schön schlucken müssen manchmal. Oder hab weggeguckt einfach. Dachte, der kommt schon wieder Kam auch. Doch einmal ist er mit einer gekommen, die kam aus Wiesbaden. Son Kleiderständer mit lauter Fummelkram dran. Sollte mich befreunden mit ihr, hat er gesagt. War so ne jungsche, patente, hieß Inge. Die oder ich hab ich gesagt. Da hat er nicht lange gerätselt. Und hinterher alles in Butter.War ja schlimm genug, was man durchgemacht hat all die Jahre. Entweder war Vorkriegszeit oder Nachkriegszeit und zwischendurch Krieg. Wie heute, wo es losgehen kann, morgen schon.« Die Alte winkt ab. »Nur richtige Liebe«, ruft sie, »die zählt!«
Damroka schweigt und strickt an ihrer Wollrestedecke, die breit genug wäre, alle fünf Frauen zu wärmen. Bevor die Steuermännin wieder beginnen kann, sagt sie: »In Liebe war ich immer gut, weil ich so langsam bin. Wenn man nicht merkt, wann sie anfängt, wann sie aufhört, kriegt man das Schlimmste nicht mit. Auch wenn nichts da war, ich hab trotzdem geliebt. Kann man ja nicht für sich behalten. Und die Männer, nun ja. Den ich jetzt hab, der gibt sich Mühe und ist auch ziemlich da, wenn er nicht unterwegs...»
Jetzt schweigt sie wieder, weil sie so langsam ist und sich einholen muß. Doch wie sie alle mit Milch und Rogen gefüllten Fische sieht, die die Alte Kopf neben Schwanz auf dem Hackbrett gereiht hat, zählt sie die Heringe, kommt auf elf Stück und muß lachen, weil ihr beim Auszählen die Fron auf der Orgelbank hochkommt.
»Ihr wißt ja«, sagt Damroka, »in siebzehn Jahren elf Pfaffen. Und alle elf hab ich hinter mir. Über den ersten ist nix mehr zu sagen. Über den zweiten wißt ihr auch schon Bescheid. Der dritte ging ab wie gerufen. Der vierte aber, der kam mir schwäbisch und hatte es mit der Erweckung. Von Liturgie keine Ahnung, doch immerzu, selbst wenn der Kerl auffem Klo saß, sprach der Herr Jesu zu ihm...«
So reiht Damroka ihre Schwarzröcke. »Der fünfte aber, der kam aus Uelzen und hatte es mit Likörchen...« Sie läßt keinen aus. »Der sechste versuchte es alternativ...« »Dem siebten lief mit dem Küster die Frau davon...« »Dem achten aber und auch dem neunten...«
Zwischendurch reden die anderen strickenden Frauen, als dürfe der Faden nicht ausgehen, so daß erst gegen Abend und nachdem die Kreidefelsen verschattet liegen, als Ahnung dämmert: bald werde es mit der Wolle zwar nicht, doch mit den Männern, die nichts mehr hergeben, ein Ende haben. Schweigend essen sie Kartoffeln mit Möhren zusammengekocht, die mit Butter und Petersilie abgeschmeckt sind, zu Bratheringen, elf Stück. Grau erbleicht rücken Møns Klinten näher. Weil alles gesagt ist, will niemand mehr etwas sagen. Diese Geschichten sind gut nur zum Müdemachen.
Die Maschinistin zuerst, steigen die Frauen ins Vorschiff, wo ihre Hängematten eng beieinander schaukeln, so ruhig das Schiff liegt. Die Alte klappert noch mit dem Abwasch, dann steigt auch sie den Niedergang runter. Nur die Steuerbordmatte schlingert unbelegt. Mit ihrem Kaffeepott ist Damroka auf Deck geblieben. »Hör noch Seewetterdienst!« ruft sie. »Komm gleich nach später.«
Weil es im Norden sommers so langsam dunkelt, treiben, seitdem sich die schwarze Wolkenwand von Nordwest her aufzulösen beginnt, flockig kleinteilig Wolken vor immer noch lichtem Himmel. Dicht bei dicht zerfaserte Fetzen. Es ist, als flüchte ohne Unterlaß Wolkengetier. Kein Wind überm Wasser, doch oben treibt es.

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