Die Rättin
»sollen die Weiber damals, als sie noch wasweißich hofften, den Butt ausgesetzt haben.« Aber sie ruft ihn nicht, will weder locken: »Sag was, Butt!« noch ihn verfluchen: »Du Täuscher, du Lügner, du Scheißkerl du!«
Sie sitzen vorm Steuerhaus, im Windschatten gekauert. Mit Blick auf die glatte See oder auf schrundige Kreidefelsen stricken vier der fünf Frauen und sprechen dabei von sich, als müßten sie Reste loswerden. Udsalg, der Ausverkauf länglicher Klagen, auf denen sie sitzengeblieben sind
Auch die Alte, die nicht strickt, spricht von sich, während sie Kartoffeln schält, dann Mohrrüben putzt, dann Heringe ausnimmt; die Milch und den Rogen legt sie in die entleerten Fische zurück. Es sind schmackhafte Ostseeheringe, die, kleiner als die Heringe der Nordsee, immer seltener auf den Markt kommen.
Die Rede der Frauen wechselt, doch was sie reden, meint immer die gleiche Geschichte, in der es um abgelegte, zermürbte, um harte und müde, zugreifende, versagende, um zeitweilig liebenswerte, nun abgedroschene, um vergangene Männer geht. Und um die Kinder von diesen und jenen Männern geht es, die alle nicht mehr Kinder, sondern erwachsen sein wollen; so vermögend an Jahren sind die Frauen an Bord des Schiffes »Die Neue Ilsebill«, nicht nur die Alte, die ihre nicht mehr zählt.
Drei Töchter nennt die Steuermännin beim Namen, jede Tochter von einem anderen Vater gezeugt. Sie sagt: »Na, die sind selbständig jetzt und lassen sich nicht mehr an die Leine, wie ich immer wieder, weil ich viel zu lange gedacht und mir den Quatsch eingeredet habe: das geht auch zu zweit. War aber nichts jedesmal. Blieb nichts von. Nur die Mädchen, für die ich alles, aber auch alles, damit sie nicht wie ich immer wieder dumm wie ich war, auf den Leim.«
Dann sagt sie, die allem Gerede zuwider einen Dreimännerpullover strickt, den Vätern ihrer Töchter »Der eine soff, der andere hurte rum, der dritte war nur auf Karriere aus« halbwegs Gutes und Schlechtes nach: »Will nicht klagen. Viel vergeben hab ich mir nicht dabei. Waren alle drei rührend auf ihre Weise, aber ziemlich kaputt. Hat nur zu lange gedauert. Und jedesmal ich die Dumme. Fertig bin ich erst jetzt damit endlich.«
Die Maschinistin hingegen kann noch immer nicht aufhören, sich zwischen zwei Männern zu entscheiden, die beide, der eine ein Israeli, der andere ein Palästinenser, in Jerusalem leben und nicht bereit sind, ein einziger Mann zu sein. Das sagt sie immer wieder: »Fantastisch! Wäre Spitze gewesen, wenn man aus beiden einen Kerl hätte backen können. Waren gar nicht so gegensätzlich, wie sie sich sahen durch ihre Sonnenbrillen. Hätten gut Kumpels sein können, auch geschäftlich mit ihrem Autotick. Warum nicht eine Werkstatt zusammen: Gebrauchtwagen und so. Aber mußten sich immer befetzen. Und dazwischen ich dummes Huhn. Wußte schon nicht mehr, was richtig war, auch politisch. Und reden konnten die: immer streng logisch. Da gab keiner nach. Hatten auch irgendwie immer recht alle beide. Und ich hin und her, so fuchtig die wurden: Halt du dich da raus! Benutzt haben die mich. Haben sich hintenrum gesagt: Mal sehen, ob wir die rumkriegen, die Deutsche mit ihren Komplexen. Hatte ich auch, zwei Koffer voll. Säuberlich mitgebracht von zu Hause. Wollte ja alles immer ganz richtig machen. Beide versöhnen, verbrüdern womöglich, na, einen einzigen Kerl aus den beiden. Aber die sahen nur sich, bis ich mit dem Kind, das mir der eine oder der andere in die Röhre geschoben hat, ruckzuck abdampfte. Und ließ einen Zettel noch auffem Tisch: Schreibt mal, wenn ihr euch einig seid. Will aber nicht mehr, selbst wenn die beiden. Die hab ich gegessen!« sagt die Maschinistin und strickt neuerdings Männersocken.
Dann redet sie noch von dem Jungen. »Der verweigert den Wehrdienst grad«, sagt sie, damit alle wissen, für wen die Socken sind. Und die Meereskundlerin strickt, weil sie so früh, »viel zu früh«, wie sie sagt, Großmutter wurde, Kindersächelchen, immerzu rosa und hellblaue Kindersächelchen. Alles was ihr geschah und zumeist schiefund danebenging, geschah entweder zu früh oder zu spät, weshalb sie ihre Geschichten mit Zeitangaben beschließt oder einleitet: »Das hätte ich früher wissen oder doch ahnen müssen, nicht wahr? Da war es natürlich zu spät. Wäre ich rechtzeitig und zwar alleine damals nach London und zwar bevor ich um Jahre verspätet nach Brüssel ging. Doch erst als das alles vorbei war, begriff ich zu spät. Denn hätte
Weitere Kostenlose Bücher