Die Rättin
nicht traurig Freund, wir lassen dich nicht im Stich. Sobald du Erde! Antworten, Erde! rufst, antworten zukünftig wir.
Nein! rief ich, nein! Wie soll ich von meiner Damroka berichten, wenn mir die Rättin dazwischenspricht? Wie kann ihr Haar auf meinem Papier wuchern, wenn sich in jedem Traum glattes Fell aufdrängt? Wie soll ich sagen, die Frauen nahmen von Møns kreidiger Steilküste Kurs in die östliche Ostsee auf Gotland zu, wenn diese Reise, ja, auch die Reise unseres Herrn Matzerath, der unbedingt nach Polen will, vorbei und gewesen, seit gestern Oder wann, Rättin, war Ultimo? auf immer vergangen ist? Ach, wenn es irgendwo Hoffnung, ein Fitzel Leben, schüchterne menschliche Zeichen gäbe: Wir sind noch da. Wir rühren uns wieder. Ein paar Übriggebliebene fangen mit Hacke und Schaufel von vorne an. Wir werden in Zukunft...
Jaja, sagte die Rättin. Das fiel euch gerne zu Katastrophen im Film wie im Leben als Schluß ein: der Auftritt zwar lädierter, doch überlebender Helden, dazu die rettende Arche in jeweils modernster Ausführung und die unverdrossene Mär vom Fortgang eurer Geschichte. Doch eure Geschichte ist aus. Wir bedauern zutiefst!
Schon wieder salbte Mitleid ihre Stimme: Oh Mensch! Ihn überlebend, werden wir ihn vermissen. Zu lange in seinem Schatten, fragen wir uns: Ist denn die Ratte überhaupt denkbar ohne den Menschen? Fähig, seinen strahlenden Nachlaß auszuhalten, könnten wir dennoch verkümmern. Zehrende Sehnsucht nach dem Menschengeschlecht wird uns krank, hinfällig machen. Ach, sagten wir uns gleich nach dem Großen Knall, dürften sie uns doch bleiben, und sei es in wenigen Exemplaren nur. Und schon vor Ultimo riefen wir: Dosch Minscher chissoresch! Was sind wir ohne seine Geschichten, in denen wir eingeschriebenen Platz haben? Was bliebe von uns ohne sein Schaudern, es könnten Ratten hier oder dort sein, womöglich bißwütig in der Kloschüssel schwimmen? Noch während der anhaltenden, sich aber merklich neigenden Humanzeit nahmen wir seinen Wegfall als Schmerz vorweg und wollten ihn uns in überschaubarer Zahl erhalten. Leider gelang die eine Aussparung nur. Ach, gäbe es dich nicht in deiner Raumkapsel, auf deiner Umlaufbahn, dich, voller Geschichten und Lügen schöngelockt, dich, unseren Freund, der uns das Menschenbild treulich erhält, wir Ratten müßten verzweifeln. So jammerte die Rättin. Doch während sie uns herbeisehnte, fand unser Ende unwiderruflich statt. Ich widerrief dennoch, kam ihr mit gegenwärtigen Fakten. Als könnte es gelingen, den Traum abzuwälzen, schrie ich mein Neinneinnein! Ich beschwor das Dritte Programm: Gleich hören wir den PresseSpiegel. Gleich wird anderes wirklich. Ich sagte: Demnächst gibt es bleifreies Benzin. Ich behauptete: Der Hunger erledigt sich von selbst. Vom nächsten Wirtschaftsgipfel, der bestimmt stattfinden werde, von Friedensbemühungen in Stockholm und sonst noch wo, sogar vom Papst und dessen zunächst geplanter Reise erzählte ich ihr. Man kann wieder hoffen, bei aller Skepsis hoffen, rief ich und wollte nicht glauben, was ist. Hör zu, Rättin! beschloß ich, heute noch werde ich einen Baum pflanzen.
Da sprach sie wie mit einem Kind zu mir: Ist ja gut. Mach nur weiter. Träume, Freundchen, was dir noch einfällt, Frauen, so viele dir guttun, Malskatsche Gotik, deines Herrn Matzerath Golddukaten. Wir mögen deine Ausflüchte. Unser Wissen muß dich nicht kümmern. Tu so, als sei das Menschengeschlecht noch da. Glaub einfach, daß es euch gibt: zahlreich und emsig. Du hast Pläne. Du willst den Wald retten. Laß ihn heil werden, laß das Forschungsschiff fahren und erlaube den Frauen, die dir so lieb sind, alle Ohrenquallen und Heringslarven des Baltischen Meeres zu zählen, laß unentwegt den Maler auf Kalkmörtel täuschend Truthähne und Madonnen malen und laß dein bucklichtes Männlein endlich seine Polenreise antreten, es könnte sonst das Visum verfallen.
Ach ja, sagte die Rättin, bevor sie verging, und höre, als gebe es Nachrichten immer noch, dein Drittes Programm...
Abraten müßte man ihm. Er sollte ein Telegramm schicken: »Kann leider, weil krank, nicht kommen.« Es könnte die Prostata sich entzündet haben. Seine Großmutter würde Verständnis zeigen. Die gute Anna Koljaiczek hat immer schon alles verstanden.
Man sollte ihm diese Reise, die eine Reise zurück ist, wirklich nicht zumuten. Zuviel Vergangenes könnte beweglich werden, ihn anrühren und erschrecken. Plötzlich, entrückt seiner Chefetage, dem
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