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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Aber es will meine Damroka dem Himmel nichts ablesen. Anderen Zuspruch sucht sie. Hinterm Steuerhaus wird nach dem Butt gerufen, dreimal. Der Butt, der vormals zu Männern nur sprach, dem auf Gedeih und Verderb einzig die Männersache anvertraut blieb; er, dessen Rat teuer war, bis seine lange Geschichte ihr böses Ende gefunden hatte, worauf er insichging und nur noch Frauen, einzig den Weibern hörig sein wollte; er, der dreimal gerufene Butt antwortet Damroka hinterm Heck des Motorewers, wo sie hockt, so daß ihr Haar über die Knie fällt.
An mir rauscht vorbei, was beide besprechen. Langsam bilden sich ihre Fragen, er antwortet knapp. Den Butt, der vermutlich wie greifbar unterm Wasserspiegel in Position liegt, sehe ich nicht; aber ich sehe die anderen Frauen den Niedergang hoch aus dem Vorschiff steigen, die Steuermännin voran. Um eine Petroleumlampe gruppiert, halten sie Abstand. Die Alte hält die Lampe. Wäre ich jetzt unter Deck, könnte ich mich in alle Hängematten legen. Aber ich darf nicht. Außerhalb bin ich. Auch mir wurde der Abschied gegeben.
Damroka hat ihr Gespräch mit dem Butt beendet. Immer noch fällt ihr, indem sie hockt, das Haar über die Knie. Sie ist nicht erstaunt, die anderen Frauen eng um die Lampe geschart auf dem Vorschiff zu sehen. So erleuchtet und wie sie Schritt nach Schritt näherkommen, geben die vier ein Bild ab. Die Alte mit der Lampe voran. »Und?« sagt sie, »Was weiß er?« So ruhig Damroka spricht und sich Pausen einräumt, für Gegenreden bleibt dennoch kein Platz. Sie erteilt keine Befehle, sie stellt fest: »Es drängt. Wir lichten Anker sofort. Wir werden Gotland direkt anlaufen. Dort liegen unsere Papiere gestempelt. Für Visby und Landgang bleibt nur ein halber Tag. Mit den Quallen, das ist vorbei. Es geht zu Ende, sagt er. Er sagt: Spätestens Sonnabend vor Sonnenuntergang müssen wir vor Usedom, überm Vinetatief sein.«
    Es sollen die grauen und schwarzen, aus der Kreide gefallenen Steine, die vor Møns Küste zuhauf liegen, älter sein, als zu denken ist.
    Wir sind Sommer für Sommer Touristen, legen den Kopf in den Nacken
und sehen hoch zu den Kuppen der Kreidefelsen, die Klinten heißen und dänische Namen tragen. Dann sehen wir, was den Klinten und uns zu Füßen gehäuft liegt: zu Körpern gerundete Feuersteine, manche mit scharfem Bruch.
    Nur selten und immer seltener, wenn Glück uns wie Möwenflug streift, finden wir Getier, das zu Stein wurde, einen Seeigel etwa.
    Abschied von Møn und dem Blick nach drüben. Abschied von der Sommerund Kinderinsel, mit der wir älter und dänischer hätten werden können. Abschied von Radaranlagen, die über Buchenwäldern uns abschirmen sollen.
    Könnten wir doch in Kreide uns betten und überdauern, bis in fünfundsiebzig Millionen Jahren genau
Touristen der neuen Art kommen, die, vom Glück berührt, Teilchen von uns versteinert finden: mein Ohr,
deinen deutenden Finger.
    D ASFÜNFTEKAPITEL, indem eine Raumkapsel
kreist, unser HerrMatzerath schwarzsieht, die Rättin fehlende Angst beklagt, die Stadt GdaDsk äußerlch heilbleibt, die Frauen um Ohrenquallen sich streiten, Hänselund Gretelzur Aktion aufrufen, die Erziehung des Menschengeschlechtes fortgesetzt und eine Preisrede gehalten wird.
    Während ich versuchte, Ferienprospekte zu träumen, sagte sie: Als schließlich die Zentralbunker der beiden Schutzmächte einander zum Ziel wurden und nach vorbestimmter Zeit ausgelöscht waren, so daß nichts blieb, das hätte Piep sagen können denn unsere Spezialratten gingen ihrer Aufgabe bis zum Schluß nach -, als überall auf Erden, über den Wassern und hoch im Weltraum Betriebsstille herrschte, ausgenommen umlaufende Stürme, die den angefallenen Staub und Ruß global verbreiteten, so daß überall Finsternis herrschte, kurzum: als Ultimo war, blieb nur ein einziger, harmloser Beobachtungssatellit seiner Umlaufbahn treu, der sich allerdings als bemannt erwies, denn sein Insasse, ein technisch wenig versiertes Kerlchen, dem weder die Astronautensprache noch die Daten seiner immer noch fleißigen Meßinstrumente geläufig waren und dessen Eignung für Aufgaben im Kosmos fraglich zu sein schien, hörte nicht auf, Erde! Antworten, Erde! zu rufen, so daß wir ihm schonungsvoll einflüstern mußten, wie gottverlassen er seiner Umlaufbahn folge, warum zwischen den Menschen Sendeschluß herrsche, und daß es auf Erden nur uns noch gebe. Sobald wir was nicht ungefährlich warunsere Fluchtgänge verließen, riefen wir: Sei

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