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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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zu ausladenden Tisch, den Gummibäumen enthoben, hätte er Hintergrund wieder, ein Herkommen, kaschubischen Stallgeruch.
Schonen sollte man ihn, denn sobald nach seiner Kindheit gefragt wird, weicht unser Herr Matzerath in wohnliche Nebensätze aus. Er erwähnt den Sturz von der Kellertreppe nur beiläufig und nennt sein Wachstum während der fraglichen Zeit »zurückhaltend« oder »zögerlich«, als bereite ihm die Frühphase seines Lebens immer noch Pein. Zwar widerspricht er nicht den sattsam bekannten, uns überlieferten Etappen und Abenteuern im Danziger Vorort Langfuhr, den Ausflügen in die Altstadt und ins kaschubische Hinterland, will aber dennoch keine Episode, etwa seinen Beitrag zur Verteidigung der Polnischen Post oder die aufs Glas bezogenen Kunststücke vom Stockturm herab bestätigen. Seine Tribünennummer und auch das kurze Gastspiel am Atlantikwall läßt er offen und sagt allenfalls: »Meine Kindheit und Jugend war an bemerkenswerten Ereignissen nicht arm.« Oder er sagt: »Besonders Sie sollten nicht alles glauben, was da geschrieben steht, wenngleich meine frühe Zeit einfallsreicher verlief, als sich gewisse Skribenten vorstellen.«
Am liebsten schweigt unser Herr Matzerath und lächelt nur mit dem Mündchen. Hartnäckige Fragen fertigt er schroff ab: »Lassen wir meine Kindheit unter Verschluß. Wenden wir uns dem Wetter von morgen zu. Regen bleibt angesagt, scheußlich!«
Deshalb sage ich: Er sollte nicht reisen. Es gibt kein Zurück. Es könnte eine Reise ohne Wiederkehr werden. Mit seiner Prostata ist nicht zu spaßen, anfällig ist sie, reizbar. Was heißt hier: ihm fehlt sein Milieu! Ein erfolgreicher Unternehmer kann auch ohne Hintergrund existieren. Düsseldorf bietet Beispiele genug. Als ich ihn gestern, um Abschied zu nehmen, in Oberkassel besuchte und seine Villa, trotz unbelebter Zimmerflucht, als ihm angemessen empfand, sagte ich: »Sie sollten lieber nicht reisen, Oskar.«
Er wollte nicht hören, erzählte von Maria und ihrem alltäglichen Ärger mit Kurtchen »Schulden macht der Bengel, überall Schulden!« -, nannte den feisten Mittvierziger einen ungeratenen Sohn, führte mich dann in sein Kellermuseum, später in den Salon und sprach erklärend, als müßten mir seine Schaustücke aus den fünfziger Jahren, die gesammelten Scherben kostbarer Gläser etwa, wie neueste Anschaffungen gezeigt werden. Sein Satz: »Zum Glas hatte ich schon immer eine besondere Beziehung« kränkte mich; erst vor den gerahmten Fotos des seinerzeit bekannten Musikclowns Bebra sah er in mir den Zeitgenossen und sagte: »Sie wissen, daß Bebras Erfolge als Konzertmanager auf meinen medialen Fähigkeiten beruhten. Wie viele Großauftritte bei vollem Haus!« Mit der Überleitung: »Das war während meiner Karriere als Alleinunterhalter« hatte er nunmehr sein Lieblingsthema am Wickel, die frühen fünfziger Jahre, sich, Maria und Kurtchen, aber den Maler Malskat auch, den er gerne zwischen damals dominierenden Staatsmännern sieht.
Auf seine Bitte hin, ihn mit Details zu versorgen »Ich bin versessen auf Einzelheiten!« -, versprach ich ihm abermals, aufzuarbeiten, beklagte aber, daß es über Malskats Militärzeit, ab Frühjahr vierzig bis Mai fünfundvierzig, nur wenig Material gebe, nannte vorsichtig Bedenken, man könne zwei so gegensätzliche Staatsmänner und den verspäteten gotischen Maler nicht einfach in einen Topf werfen und kurzerhand von einem Triumvirat sprechen, wechselte dann aber das Thema und fragte unseren Herrn Matzerath direkt, welche Geschenke er für den hundertundsiebten Geburtstag seiner Großmutter eingekauft habe.
Er sprach von Besuchen bei Münzhändlern und wies auf einen lackierten, zur Schatulle geeigneten Kasten. Er sagte: »Zudem ist ein Baumkuchen von besonderer Höhe bestellt und geliefert. worden. Auch gehört eine Extra-Videoproduktion zu den Geschenken; ich bin gespannt, wie meine wundergläubigen Kaschuben diese mediale Spielerei aufnehmen werden.« Und dann sprach unser Herr Matzerath gutgelaunt über einen Sack voller Schlümpfe, die er den vielen nachgewachsenen Kaschubenkindern zum Geschenk machen will. Er hob den Beutel aus Sackleinen, hielt ihn, als wäge er einen Schatz, und rief: »Hundertunddreißig Stück! Sehen Sie« er griff in den Sack, zeigte wahllos vor »lauter fleißige Kerlchen. Hier, der eine Schlumpf mauert, der andere ist Mechaniker. Zwei Schlümpfe spielen Tennis, zwei andere trinken Bier. Ackerbau betreibt dieser und jener Schlumpf mit der

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