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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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ausgelaugter Ideen. Diese Unfähigkeit, wenn nicht aus neuen, dann aus alten Wunschwörtern, die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hätten heißen können, ein wenig späte Erkenntnis zu saugen. Tüchtig im Selbstbetrug war das Menschengeschlecht, als es mit ihm zu Ende ging, allwissend und dumm zugleich. Sogar der kostbarsten Weisheiten, von Salomos Sprüchen bis zum letzten Buch Bloch, wart ihr am Ende überdrüssig.
Nun nicht mehr vom Müllberg, dem Weltgebäude der Ratten. herab, sondern zum Greifen nahgerückt hörte ich sie: Dabei hättet ihr lernen können von uns. Ihr hättet nur unser Ich, dieses von Erfahrung gesättigte, immerfort angereicherte Ich, das sich durchgebissen, allzeit durchgebissen hat, als beispielhaft erkennen müssen. Unsereins, sagte die Rättin, die nun meinen Traum wie ein Schulzimmer mit Tafel, Kreide und Zeigestock möbliert hat, als wäre ihr die Schiefertafel in unseres Herrn Matzerath Chefetage zum Vorbild geworden, unsereins, sagte sie, mußte nichts neuerklärt und Mal um Mal wie Schulwissen eingetrichtert werden. Wir, nicht der Mensch, wurden aus Schaden klug. Ihr jedoch, Wiederholungstäter von Anbeginn, seid euch immer wieder in ausgeklügelte Fallen gegangen, als hätte das Spaß oder Lust bereitet. Man hätte nur nachlesen müssen, zum Beispiel im ersten Buch Mose Und Gott der Herr sprach, siehe, Adam ist worden als unser einer, und weiß was gut und böse ist -, um zu erkennen, welch faule Frucht euer Baum der Erkenntnis getragen hat. Ach, ihr gottähnlichen Narren!
Dann schrieb sie. In meinem Traum schrieb die Rättin mit Kreide auf eine Schultafel. Sie, die Belesene, reihte alle Schäden zu langer Liste, aus denen wir Menschen hätten klug werden können, hätten wir nur von den Ratten gelernt, kein einzelnes Ich, vielmehr ein versammeltes Wir zu sein. Und während die Rättin mit Kreide schrieb altmodisch übrigens, in mir verhaßter Sütterlinschrift -, wollte ihre Rede, dieses Fisteln, Näseln, ihr Genörgel und Nuscheln nicht aufhören.
Ich bekam Lektionen erteilt: Weil ihren Experimenten immer voraus, galten wir Ratten den Menschen als besonders gelehrig. Was sie in ihren Laboratorien mit uns angestellt haben, das heißt, was sterilen Züchtungen, den vergleichsweise törichten Laborratten zugemutet wurde, ist gewiß, streng wissenschaftlich gewertet, beachtlich ohne uns keine Humanmedizin! -, hätte aber im Umgang mit freilebenden Ratten, die aus Laborsicht arrogant Kanalratten genannt wurden, zu ganz anderen, den Menschen umdisponierenden Ergebnissen führen können; ein uns heute noch erregender, epochaler, ein, selbst nach humanen Maßstäben gewertet, preiswürdiger Gedanke. Die Rättin dozierte. Von fixer Idee besessen, saß sie auf einem Katheder, das neben der Schultafel zum Mobiliar meines Traumes gehörte. Sie sprach wie vor größerem Publikum. Zum Beispiel: Wir vererben das Wissen. Sein Einmaleins, der Mensch mußte es büffeln immer aufs neue, wir nicht! Wir wissen schon, kaum geworfen, was wissenswert ist und geben Wissensgut weiter von Wurf zu Wurf. Deshalb lächelten wir auf rattenmögliche Weise, sobald uns die Menschen, stolz auf ihre Versuche mit sogenannten Laborratten, intelligente Tiere nannten. Diese Herablassung, diese Anmaßung! Hätten sie uns doch erlaubt, ihre Wiederholungszwänge zu testen, den Wust ihrer Verdrängungen Testreihen zu unterwerfen, des Menschen eingeborene Aggressivität, seine Grausamkeit, seine Härte, die Lust am Bösen, alles, was ihn so widersprüchlich machte, nach unseren Methoden auszuwerten. Ach, hätte der Mensch doch unser Fürsorgeverhalten angenommen und sein nur geplappertes Gebot der Nächstenliebe, das wir nie aussprachen, bei uns, von Ratte zu Ratte verwirklicht gesehen. Hätte er doch, sagen wir; vielleicht gäbe es ihn dann immer noch, den an sich erstaunlichen Menschen.
Ich mochte diesen Traum nicht. Ich warf ihr blindwütige Rattenkriege, die Vernichtung der schwarzen Hausratte, die Verbreitung der Pest, schmarotzerhaftes Verhalten, angeknabberte Babies, viel Angelesenes ohne Beweis vor und wollte, während sie meine Anwürfe geduldig widerlegte nur euch angepaßt, konnte das Rattige überleben -, fliehen, raus aus dem Traum. Doch wohin? In den Märchenwald? In die gotischen Faltenwürfe des Malers Malskat? Auf das mit Wünschen und Frauen bemannte Schiff? Oder als Mitfahrer unseres Herrn Matzerath ohne Visum schnurstracks nach Polen? Das Klassenzimmer blieb verschlossen. Schulzwang beherrschte den

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