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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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sich überreden. Ein wenig zerstreut, als müsse sie von weither Gedanken zurückrufen, sucht sie die Schlüssel, schließt sie das Steuerhaus und leider nicht alle Niedergänge ab.
Da in Visby, einer Stadt, die auf Prospekten mehr bietet als sich in knapper Zeit erlaufen ließe, dennoch viel los ist, kommt die Meereskundlerin kaum dazu, überall rumstehende Trümmer zu fotografieren und geht der Wunsch der Steuermännin, sich rasch, nebenbei einen Mann aufzureißen, nicht in Erfüllung. Keinen weiteren Schnaps kann die Alte auftreiben. Damroka ist ohne Wünsche. Und die Maschinistin, einfach nur so auf Landgang scharf, sagt, wie sie den Betrieb in der Stadt sieht: »Los, laufen wir irgendwo mit. Vielleicht passiert was.«
Denn auch in Visby wird, wie zu dieser Stunde in vielen anderen Städten, gegen dies und das protestiert. Da es vier oder fünf Protestzüge sind, die in verschiedene Richtungen ziehen und gegen Tierversuche und für Freiheit in Polen und Nicaragua zugleich auf Transparenten, in Sprechchören laut werden, muß Damroka, die einige Brocken Schwedisch erinnert, übersetzen, was Transparente und Sprechchöre aussagen. Nach kurzer Beratung entscheiden die Frauen sich. Gegen das Wettrüsten wollen sie nicht mehr laufen. »Mit Drogen«, ruft die Alte, »hab ich nie was am Hut gehabt.« »Polen«, sagt die Maschinistin, »kann man nicht in einen Topf mit Nicaragua werfen.« Also hängen sie sich, weil die Meereskundlerin sagt: »Mal sehen, ob die auch gegen Quallenzählerei sind«, den Tierschützern an.
Sie laufen an kaputten Kirchen, dann an der teils kaputten, teils ordentlich wieder aufgebauten Stadtmauer vorbei, die, wie im Prospekt zu lesen steht, von Visbys Geschichte erzählt. Am Stadtrand hält der Protestzug vor einem Flachbau, der sich abweisend wissenschaftlich gibt, doch offenbar in Verruf geraten ist, denn alle dreißig bis vierzig Kinder, Frauen und Männer, zu denen die fünf Frauen auf Landgang gezählt werden können, rufen immer wieder auf schwedisch, daß sie gegen Tierversuche sind. Auf deutsch ruft die Alte zuerst alleine, dann von der Meereskundlerin unterstützt: »Macht Schluß mit dem dämlichen Quallenzählen!«
Es regnet, wie es oft in diesem verregneten Sommer regnet. Sonst geschieht nichts, bis ein Stein geworfen wird und Glas splittert, worauf viele Steine geworfen werden. Bald sind alle Fenster der Vorderseite des Institutes für Grundlagenforschung zerschmissen.
Ich bin sicher, daß die Maschinistin den ersten Stein und die Steuermännin den zweiten wirft. Erst nach dem dritten Stein, den entweder die Alte oder die Meereskundlerin geworfen hat denn Damroka schmeißt nicht -, sehe ich Schweden mit Steinen werfen. Jedenfalls hat die Maschinistin, damit was passiert, als erste. Griffbereit liegen taubeneigroße Kiesel als Rückstand von Bauarbeiten am Straßenrand zuhauf.
Im Flachbau rührt sich nichts. Niemand hindert das Schwedenvolk, durch die entglaste Tür einzudringen. Die Steuermännin will mit dem Ruf »Mir nach!« hinterdrein. Schon hat sich die Maschinistin ein Stück Bauholz gegriffen. Die Meereskundlerin knipst, wie sie sagt, »schnell zwei drei Andenken« Die Alte ruft: »Los! Vielleicht stehn drin paar Buddeln rum.« Aber Damroka entscheidet: »Wir müssen hier weg. Das reicht. Schluß mit dem Landgang. In einer Stunde legen wir ab.« Also sehen die Frauen nicht, was ich sehe: welche Versuchstiere von den Schweden, die alle gelbe oder rote Plastikkutten gegen das Wetter tragen, befreit werden. Außer Meerschweinchen, Laborratten und Labormäusen auch zehn Kaninchen, fünf Hunde und vier Rhesusaffen. Weil unterwegs immer wieder Protestzüge den Weg sperren, schließlich mit Sirenengeheul Polizei kommt und hier Sperren errichtet, dort mit Hunden auf Spur gesetzte Suchtrupps ausschickt, erreichen die Frauen über Umwegen erst und ziemlich müde gelatscht den Hafen.
Die Vermutung der Maschinistin: »Wetten, die haben jede Menge Viecher laufenlassen« wird stumm hingenommen, desgleichen die Klage der Alten: »Die armen Tiere, laufen jetzt draußen rum. Wir hätten eins mitnehmen sollen. War ein ganz junger Hund darunter.«
Damroka kommt ohne Anweisungen aus. Während die Leinen eingeholt werden, schließt sie das Steuerhaus auf und wird vorm letzten Niedergang nachdenklich, weil das Vorschiff offensteht.
Da wirft die Maschinistin den Diesel an. Die Meereskundlerin sagt: »Weiß jemand, wo mein Taschenrechner hin ist?" Bevor die Alte ihren finnischen Fusel entkorkt und

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