Die Räuberbraut
würde sie ausgestoßen. Und Zenia hat die Macht, sie all dieser Dinge zu berauben.
»Ich hab es doch nur getan, um dir zu helfen«, sagt Tony und weiß im gleichen Augenblick, daß ihre Motive keinen Eindruck auf die Universitätsgremien machen werden. (Einen Augenblick lang denkt sie: Ich könnte einfach abstreiten , das Ding geschrieben zu haben. Aber Zenia hat das Original, in Tonys schräg nach hinten geneigter Schrift. Natürlich mußte sie die Arbeit in ihrer eigenen Schrift abschreiben.)
»Ich weiß«, sagt Zenia. »Trotzdem. Aber vielleicht denk ich morgen früh ja wieder anders darüber. Ich bin einfach nur deprimiert, ich kann mich selbst nicht leiden; manchmal fühl ich mich so beschissen, daß ich am liebsten von einer Brücke springen würde, verstehst du? Manchmal komm ich mir vor wie eine Hochstaplerin. Ich habe das Gefühl, nicht hierher zu gehören – einfach nicht gut genug zu sein. Auch nicht für West. Er ist so verdammt sauber. Manchmal hab ich richtig Angst, daß ich ihn schmutzig machen könnte, oder kaputt, oder was weiß ich. Und weißt du, was das Schlimmste ist? Manchmal will ich es sogar. Wenn ich – du weißt schon. Wenn ich zu sehr unter Druck steh.«
Es ist also nicht nur Tony, deren Leben bedroht ist, sondern auch West. Nach dem, was Tony von West und seiner bedingungslosen Ergebenheit mitbekommen hat, ist sie überzeugt, daß Zenia tatsächlich Verheerungen anrichten könnte. Eine einzige, abfällige Bewegung ihrer Hand könnte ihn über den ganzen Bürgersteig klatschen. Wie hat Zenia es bloß geschafft, soviel Macht zu bekommen, ohne daß Tony es gemerkt hat? Das heißt, soweit es West betraf, hat sie es gemerkt. Aber sie hat darauf vertraut, daß Zenia diese Macht nicht mißbrauchen würde. Sie hat Zenia vertraut. Und jetzt ist nicht nur sie selbst in Gefahr, sondern auch West, jetzt muß sie sie beide retten. »Was für Druck?« fragt sie matt.
»Ach, dieses Geld. Du kannst dir das einfach nicht vorstellen, Tony, du mußtest dir nie Gedanken darüber machen. Die verdammte Miete ist ein paar Monate im Rückstand, und der verdammte Vermieter droht, uns auf die Straße zu setzen; er sagt, er ruft die Uni an und macht Stunk. Und es hat überhaupt keinen Zweck, West damit zu belasten – er ist so ein Baby, er überläßt all diese praktischen Dinge mir. Wenn ich ihm sagen würde, wieviel Schulden wir haben, würde er hingehen und seine Laute verkaufen, gar keine Frage; ich mein, was hat er denn sonst schon? Er würde alles für mich tun, obwohl es nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein wäre, das arme Lamm; aber er liebt diese Opfergesten. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Alles ist so eine Last , Tony. Und dann werd ich immer so verdammt deprimiert!«
Tony hat Zenia Geld für die Miete gegeben, mehr als einmal. Aber sie weiß genau, was Zenia sagen wird, wenn sie das erwähnt. Aber Tony! Wir mußten schließlich auch essen! Du hast ja keine Ahnung, wie es ist, wenn man Hunger hat. Du verstehst das einfach nicht! Du verstehst nicht, wie es ist , wenn man überhaupt kein Geld hat!
»Wieviel?« fragt sie mit kalter, peinlich korrekter Stimme. Das Ganze ist eine nette kleine Erpressung. Sie wird über den Tisch gezogen.
»Tausend Dollar würden uns aus dem Gröbsten raushelfen«, sagt Zenia aalglatt. Tausend Dollar sind eine Menge Geld. Sie werden ein merkliches Loch in Tonys Finanzen reißen. Außerdem sind tausend Dollar bedeutend mehr, als man beim besten Willen für Mietrückstände schuldig sein kann. Aber Zenia bittet nicht, sie bettelt nicht. Sie weiß, daß es keinen Zweifel daran gibt, was Tony tun wird.
Tony steigt aus dem Bett, in ihrem Polo-Pyjama mit den aufgedruckten blauen Mäusen im Clownskostüm, den ihre Mutter ihr aus Kalifornien geschickt hat, als sie vierzehn war – sie hat ihre nächtliche Garderobe nicht aufgebessert, denn wer würde sie schon je zu sehen bekommen, und was Tony im Nachhinein an dieser Nacht fast am meisten ärgert, ist die Tatsache, daß Zenia sie in diesem absurden Pyjama ausführlich in Augenschein nehmen konnte –, und geht zu ihrem Schreibtisch und knipst die Schreibtischlampe an, kurz, und stellt den Scheck aus. »Hier«, sagt sie und hält ihn Zenia hin.
»Tony, du bist eine Wucht. Damit hast du bei mir einen Stein im Brett«, sagt Zenia. »Du bekommst es natürlich zurück.« Sie wissen beide, daß das nicht stimmt.
Zenia macht einen Abgang durch das Fenster, und Tony geht ins Bett zurück. Einen Stein im
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