Die Räuberbraut
Brett haben, einen Stein: hart, schwer, eine potentielle Mordwaffe. Man könnte eine Menge Schädel einschlagen, mit einem Stein. Zenia wird garantiert zurückkommen und mehr Geld verlangen, und dann noch mehr. Tony hat nichts gewonnen, außer Zeit.
26
Zwei Tage später kommt West in die McClung Hall, um Tony zu suchen und sie zu fragen, ob sie Zenia gesehen hat, weil Zenia verschwunden ist. Sie ist aus der Wohnung verschwunden, sie ist vom Campus verschwunden, sie scheint aus der ganzen Stadt verschwunden zu sein, weil niemand – weder die bärtigen Männer aus dem Theater, noch die dünnen Frauen mit den Ballettgesichtern und den Pferdemähnen, noch die Polizei, die West schließlich anruft – weiß, wo sie sein könnte. Niemand hat sie gehen sehen. Sie ist einfach nicht mehr da.
Mit ihr verschwunden sind die tausend Dollar, die Tony ihr gegeben hat, plus der Inhalt des gemeinsamen Kontos, das sie und West hatten – rund zweihundert Dollar. Übrigens wäre mehr auf diesem Konto gewesen, wenn Zenia nicht vor kurzem einen Teil abgehoben hätte, weil ihrer beider gute Freundin Tony, die nicht so reich war, wie alle dachten, sie um ein kurzfristiges Darlehen gebeten hatte, da sie zu schüchtern war, um West darum zu bitten. Ebenfalls verschwunden ist Wests Laute, die mehrere Wochen später im Rahmen einer emsigen und inspirierten Suchaktion in sämtlichen Trödelläden von Tony aufgespürt und auf der Stelle zurückgekauft wird. Sie trägt sie in Wests Wohnung und drückt sie ihm in die Hand wie einen Lutscher, in der Hoffnung, ihn über sein Unglück hinwegtrösten zu können, aber sie macht kaum einen Eindruck auf ihn, der allein mitten im Zimmer auf dem Boden sitzt, auf einem großen, zerschlissenen Kissen, die Wand anstarrt und Bier trinkt.
Zenia hat West einen Brief hinterlassen. So rücksichtsvoll war sie immerhin, oder – denkt Tony mit ihrer neugewonnenen Einsicht in die Windungen von Zenias Seele – so berechnend. Mein Liebling , ich bin Deiner nicht wert. Eines Tages wirst Du mir verzeihen. Ich werde Dich lieben , solange ich lebe. In Liebe , Deine Zenia. Tony, die die Empfängerin eines ähnlichen Briefes war, weiß, was derartige Beteuerungen wert sind, nämlich nicht das Papier, auf dem sie stehen. Sie weiß, daß derartige Briefe einem um den Hals gehängt werden können wie bleierne Medaillons, schwergewichtige Andenken, die einen jahrelang niederdrücken. Aber sie versteht auch Wests Bedürfnis, sich an Zenias Versicherungen zu klammern. Er braucht sie wie Wasser, er braucht sie wie Luft. Er glaubt lieber, daß Zenia ihn aus falsch verstandenem Edelmut verlassen hat, als daß sie einfach nur mit ihm Schlitten gefahren ist. Frauen können Männer wirklich zu Narren machen, denkt die selbst gerade erst desillusionierte Tony, auch wenn sie nicht von Anfang an welche gewesen sind.
Wests Verzweiflung ist mit Händen zu greifen. Sie umschwebt ihn wie ein Mückenschwarm, sie zeichnet ihn wie ein aufgeschlitztes Handgelenk, das er Tony entgegenhält (stumm, ohne sich zu bewegen), damit sie es verbindet. Hätte sie die Wahl, hätte sie sich nicht die Rolle der Krankenschwester und Trösterin ausgesucht, die sie schon bei ihrem Vater so schlecht ausfüllte. Aber da sonst nicht sonderlich viel zur Auswahl steht, kocht Tony viele Tassen Tee für West, reißt ihn von seinem Kissen los und führt ihn – da sie nicht weiß, was sie sonst machen soll – zu Spaziergängen aus, wie einen Hund oder einen Kranken. Gemeinsam durchwandern sie Parks, gemeinsam überqueren sie Straßen, sich an den Händen haltend wie verirrte Kinder. Gemeinsam trauern sie stumm vor sich hin.
West trauert, aber auch Tony trauert. Jeder von ihnen hat Zenia verloren, aber Tony hat sie vollständiger verloren. West glaubt immer noch an die Zenia, die er verloren hat: er denkt, wenn sie nur zurückkommen und ihm erlauben würde, ihr zu verzeihen und sie zu lieben, könnte alles wieder so sein wie früher. Tony weiß es besser. Sie weiß, daß die Person, die sie verloren hat, im Grunde genommen niemals existierte. Noch stellt sie Zenias Geschichte, die Geschichte ihrer Vergangenheit, nicht in Frage; sie benutzt sie, um eine Erklärung für Zenia zu finden: was kann man schon von einem Menschen erwarten, der eine derart mißhandelte Kindheit hatte? Was sie in Frage stellt, ist Zenias guter Wille. Zenia hat sie benutzt, und sie hat sich benutzen lassen; sie wurde durchwühlt und ausgeleert wie eine Hosentasche. Aber sie hat nicht viel
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