Die Räuberbraut
Nikephorus Phokas durch seine schöne Gemahlin, Kaiserin Theophano, geschrieben. Theophano begann ihre Laufbahn als Konkubine und arbeitete sich bis ganz nach oben. Als ihr autokratischer Ehemann ihr zu alt und zu häßlich wurde, ließ sie ihn umbringen. Nicht nur das, sie half selbst dabei mit. Am i. Dezember 969 überredete sie ihn dazu, seine Schlafzimmertür offen zu lassen, und mitten in der Nacht betrat sie dieses Zimmer mit ihrem jüngeren, schöneren Geliebten Johannes Tzimiskes – der sie später ins Gefängnis werfen lassen sollte - und einer Gruppe von Söldnern. Sie weckten Nikephorus – er schlief auf einem Pantherfell, ein hübsches Detail –, und dann spaltete Johannes ihm mit einem Schwert den Schädel. Johannes lachte dabei. Woher wissen wir das? denkt Tony. Wer war da, um es aufzuzeichnen? Lachte Theophano ebenfalls?
Tony denkt darüber nach, weshalb sie Nikephorus weckten. Aus Sadismus, oder war es Rache? Allen Berichten zufolge war Nikephorus ein Typrann: stolz, unberechenbar, grausam. Sie stellt sich Theophano auf dem Weg zu dem Mord vor, einen purpurnen Seidenumhang um die Schultern geworfen, goldene Sandalen an den Füßen. Ihre dunklen Haare fliegen; ihr blasses Gesicht schimmert im Licht der Fackeln. Sie geht vorneweg, mit schnellen Schritten, denn das wichtigste Element bei jedem Verrat ist die Überraschung. Gleich hinter ihr kommen die Männer mit den Schwertern.
Theophano lächelt, aber Tony versteht dieses Lächeln nicht als boshaft. Es ist übermütig; es ist das Lächeln eines Kindes, das dabei ist, jemandem von hinten die Augen zuzuhalten. Dreimal darfst du raten!
Die Geschichte enthält ein Element reinen Mutwillens, denkt Tony. Perverser Freude. Unverfrorenheit um der Unverfrorenheit willen. Was ist ein Hinterhalt anderes als ein militärischer Streich, den man jemandem spielt? Man versteckt sich, dann springt man aus seinem Versteck heraus und ruft Buh! Aber kein Historiker verliert je auch nur ein Wort darüber, über diese Art übermütigen Versteckspiels. Sie wollen, daß die Vergangenheit ernst ist. Todernst. Tony denkt über diesen Ausdruck nach: wenn tot gleich ernst ist, ist lebendig dann gleich frivol? Die Erfinder idiomatischer Ausdrücke scheinen es so zu sehen.
Vielleicht weckte Theophano ihren Nikephorus auch auf, weil sie wollte, daß er ihre Schläue würdigte, bevor er starb. Sie wollte, daß er wußte, wie falsch sie war, und wie sehr er sich in ihr getäuscht hatte. Sie wollte, daß er die Pointe mitbekam.
Beide Arbeiten entsprechen Tonys üblichem Standard; falls überhaupt, ist die über das Seidenmonopol besser. Aber Zenia bekommt ein A, und Tony nur ein A minus. Die Tatsache, daß Zenia als brillant gilt, hat sogar Professor Welch beeinflußt, wie es scheint. Oder vielleicht liegt es auch an ihrem Aussehen. Macht es Tony etwas aus? Nicht wirklich. Aber sie bemerkt es.
Außerdem wird sie von Gewissensbissen geplagt. Bis jetzt hat sie sich immer strikt an die akademischen Regeln gehalten. Sie borgt sich nie die Notizen anderer Leute aus, obwohl sie ihre eigenen oft verleiht; ihre Fußnoten weisen jedes Zitat aus; und sie ist sich völlig klar darüber, daß es Betrug ist, ein Referat für jemand anderen zu schreiben. Aber schließlich hat sie es nicht aus Eigennutz getan. Ihre Motive sind die allerbesten: wie hätte sie ihre Freundin abweisen können? Wie hätte sie Zenia zu einem Leben sexueller Sklaverei verurteilen können? Das hätte sie nie gekonnt. Trotzdem wird sie von ihrem Gewissen geplagt, und deshalb ist es vielleicht nur gerecht, daß sie nur ein A minus bekommen hat. Wenn das die einzige Strafe ist, die ihr bevorsteht, ist sie billig davongekommen.
Tony schrieb die beiden Referate im März, als der Schnee schmolz und die Sonne wärmer wurde und die Schneeglöckchen anfingen, durch den Schlamm und die alten Zeitungen und die modrigen Blätter in den Vorgärten zu lugen und die Leute in ihren Wintermänteln allmählich unruhig wurden. Auch Zenia wurde unruhig. Sie und Tony verbrachten die Abende nicht mehr damit, im Christie’s Kaffee zu trinken; sie unterhielten sich nicht mehr angeregt bis tief in das hinein, was Tony als Nacht bezeichnete. Zum Teil hatte Tony selbst keine Zeit mehr, weil die Abschlußprüfungen vor der Tür standen und ihre eigene Brillanz etwas war, an dem sie arbeiten mußte. Aber es war auch, als hätte Zenia in der Zwischenzeit alles erfahren, was sie über Tony wissen mußte.
Umgekehrt war das ganz und gar
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