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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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unweigerlich geschnappt.
    Billy hat ihr das alles erklärt; er hat ihr auch erklärt, daß die Mounties {1} ganz und gar nicht die wundervollen Mounties aus Charis’ Kindheit sind, nicht die malerischen, rotuniformierten Männer zu Pferde, aufrecht und wahrhaftig, die den Schurken immer kriegen. Nein, sie sind falsch und verschlagen und stecken mit der US-Regierung unter einer Decke, und wenn sie Billy in die Finger kriegen, ist er ein toter Mann, weil – und das darf sie nie weitererzählen – die Flucht vor der Einberufung nicht das einzige ist, was er getan hat. Was denn sonst noch? Er hat Sachen in die Luft gejagt. Auch ein paar Leute, aber das war ein Unfall. Deshalb sind die Mounties hinter ihm her.
    Wenn er Glück hat, stellen sie ihn vor ein Gericht, das über seine Auslieferung entscheidet, und dann hat er vielleicht eine Chance. Wenn er Pech hat, geben sie einfach der CIA einen Tip, und Billy wird in irgendeiner dunklen Nacht gekidnappt und über die Grenze verschleppt werden, vielleicht in einem Schnellboot, einfach über den See rüber, so wie die Kanadier während der Prohibition Whisky geschmuggelt haben, er hat von Typen gehört, denen genau das passiert ist, sie werden ihn verschleppen und in ein Gefängnis stecken, und das wird das Ende sein. Irgend jemand wird ihm die Kehle durchschneiden, unter der Dusche, weil er ein Kriegsdienstflüchtling ist. So läuft das.
    Wenn er diese Sachen sagt, klammert er sich sehr fest an Charis, und sie legt die Arme um ihn und sagt: »Das lasse ich nicht zu«, obwohl sie weiß, daß sie nicht die Macht hat, es zu verhindern. Aber allein die Tatsache, daß sie es sagt, hat eine beruhigende Wirkung auf sie beide. Sie glaubt sowieso nicht so ganz daran, an dieses unheilvolle Szenarium, das Billy entwirft. Solche Sachen passieren vielleicht in den Vereinigten Staaten – alles ist dort möglich, dort, wo die Überfallkommandos der Polizei Leute einfach niederschießen und die Kriminalitätsrate so hoch ist –, aber doch nicht hier. Nicht hier auf der Insel, wo es so viele Bäume gibt und die Leute nicht einmal die Tür abschließen, wenn sie aus dem Haus gehen. Nicht hier in diesem Land, das so vertraut und langweilig ist, so undramatisch und ausdruckslos. Nicht hier in ihrem Haus, wo die Hühner friedlich im Garten gackern. Kein Leid kann ihr geschehen, und auch Billy nicht, solange die Hühner, diese gefiederten Schutzgeister, über sie wachen. Die Hühner bringen ihnen Glück.
    Und so sagt sie: »Ich behalt dich hier bei mir«, obwohl sie weiß, daß Billy ein Reisender wider Willen ist. Sie vermutet sogar etwas noch Schlimmeres: daß sie selbst nur eine Art Wegstation für ihn ist, eine temporäre Annehmlichkeit, wie die einheimischen Frauen, die im Ausland stationierte Soldaten sich nehmen. Obwohl er selbst es noch nicht weiß, ist sie nicht sein wirkliches Leben. Aber er ist ihres.
    Es tut weh, das zu wissen.
     
    »Also«, sagt Charis und schiebt diese Gedanken schnell beiseite, weil Schmerz eine Illusion ist und umgangen werden sollte. »Wie wär’s mit Frühstück?«
    »Du bist schön«, sagt Billy. »Ist Speck da? Haben wir Kaffee?« Billy trinkt richtigen Kaffee, mit Koffein drin. Er macht sich über Charis’ Kräutertees lustig und weigert sich, Salat zu essen, sogar den Kopfsalat, den Charis selbst gezogen hat. »Kaninchenfutter«, sagt er dazu. »Nur was für kleine Häschen und für Frauen.«
    »Du hättest sogar ein Ei bekommen«, sagt Charis vorwurfsvoll, und Billy lacht. (Der Overall mit der Brusttasche mit dem zermatschten Ei befindet sich natürlich nicht mehr an Charis, er liegt auf dem Boden. Sie wird ihn waschen, später. Sie wird kein heißes Wasser nehmen, weil das Ei sonst ausflockt. Sie wird die Tasche umstülpen müssen.)
    »Wo gehobelt wird, fallen Späne«, sagt er mit seinem weichen, schleppenden Akzent. Charis wendet den Klang seiner Worte hin und her, lautlos, schmeckt ihn nach. Genießt ihn, verstaut ihn an einem sicheren Ort. Sie wäre froh, wenn er Billy Joe oder Billy Bob hieße, wenn er einen dieser doppelläufigen, südlichen Namen hätte, wie im Kino. Sie umarmt ihn.
    »Billy, du bist so...« sagt sie. Sie will jung sagen, weil er jung ist, er ist sieben Jahre jünger als sie; aber er wird nicht gerne daran erinnert, er denkt dann immer, daß sie ihre Überlegenheit betonen will. Sie könnte auch unschuldig sagen, aber das würde er für eine noch größere Beleidigung halten: er würde denken, es sei eine Bemerkung über

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