Die Räuberbraut
füllt, wenn sie für irgendein Mädchen, das sich die Haare waschen will, das Shampoo sucht, wenn sie neben Billy auf dem Boden sitzt, Haschischrauch aus zweiter Hand einatmet und lächelt und gedankenverloren in die Ferne blickt, hört sie zu, schnappt sie so einiges auf, daher weiß sie, daß Billy Edith ist, oder umgekehrt. Er wurde nach Edith Clavell benannt, einer Figur aus der Vergangenheit. Es gibt auch Telefonnummern; einige von ihnen an die Wand neben dem Telefon gekritzelt, aber Billy sagt, das ist in Ordnung, weil es nur die Nummern von Häusern sind, in denen man Nachrichten hinterlassen kann. Sie haben auch den Plan, eine Zeitung herauszubringen, obwohl es schon mehrere Zeitungen von Kriegsdienstflüchtlingen gibt. Es gibt eine Menge Typen, die vor Billy und seinen neuen Freunden hier ankamen.
Charis ist sich nicht so sicher, daß all dieses Mantel-und-Degen- Getue, all das Herumschleichen und die Geheimcodes und die falschen Namen wirklich nötig sind. Es kommt ihr vor wie ein Kinderspiel. Aber die Aktivitäten scheinen Billy mehr Energie zu geben, und einen Lebenszweck. Er wagt sich öfter heraus, er verkriecht sich weniger. An den Tagen, an denen Charis denkt, daß die Gefahr nicht real ist, freut sie sich darüber, aber an anderen Tagen, an denen sie an die Gefahr glaubt, macht sie sich Sorgen. Und jedesmal, wenn Billy die Fähre besteigt, um aufs Festland zu fahren, gibt es einen Teil in ihr, der in Panik ausbricht. Billy ist wie ein Seiltänzer, der mit verbundenen Augen sorglos über eine Wäscheleine balanciert, die zwischen zwei dreißigstöckigen Häusern gespannt ist, und denkt, daß er sich nur einen Meter über dem Erdboden befindet. Er glaubt, daß seine Taten, seine Worte, seine winzigkleine Zeitung die Dinge verändern können, die Dinge dort draußen in der großen Welt.
Charis weiß, daß in der Welt im allgemeinen keine Veränderungen möglich sind, jedenfalls keine zum Besseren. Ereignisse sind trügerisch, sie sind Teil eines Zyklus; wenn man sich in ihren Bann ziehen läßt, ist das, als würde man in einen Strudel hineingezogen. Aber was weiß Billy schon über die unaufhörliche Bosheit des physischen Universums? Er ist zu jung.
Charis ist der Überzeugung, daß das einzige, was sie selbst verändern kann, ihr eigener Körper ist, und durch ihn ihren Geist. Sie möchte ihren Geist befreien: dieser Wunsch hat sie zum Yoga geführt. Sie möchte ihren Körper umgestalten, die Schwere loswerden, die tief in seinem Inneren verborgen ist, jenen Kern eines bösen Schatzes, den sie vor langer Zeit vergraben und nie wieder ausgegraben hat; sie möchte ihren Körper immer leichter machen, ihn befreien, bis sie fast schwebt. Sie weiß, daß das möglich ist. Sie gibt die Yoga- Kurse, weil sie für die Miete und die Telefonrechnung und die Grundnahrungsmittel aufkommen, die sie durch ihre Arbeit in der Koop billiger bekommt, aber sie gibt sie auch, weil sie anderen Menschen helfen möchte. Anderen Frauen, im Grunde genommen, weil es größtenteils Frauen sind, die an den Kursen teilnehmen. Auch sie müssen schwere Metalle in sich verborgen haben, auch sie müssen sich nach Leichtigkeit sehnen. Obwohl es in ihrem Kurs nicht um Abnehmen geht: das sagt sie ihnen sofort, gleich zu Anfang.
Als sie angezogen ist, als sie Billy seinen Frühstücksspeck und seinen Toast und seinen Kaffee gemacht hat, stopft Charis ihr Trikot und ihre Strumpfhose in ihren peruanischen Beutel und dreht dann eine Runde durch das Haus und sucht das Geld für die Fähre aus all den Ecken zusammen, in denen sie welches versteckt hat, für Notfälle wie heute, wenn sie überhaupt kein Geld mehr hat. Der Nebel hat sich gelichtet, und die schwache Novembersonne filtert durch die dünne graue Wolkendecke, so daß sie ihrer Uhr wieder trauen kann und die Fähre nicht verpaßt. Sie verpaßt sie nur selten, außer, es handelt sich um Billy, um Billy und seine spontanen und überwältigenden Bedürfnisse. Was kann sie ihm in diesen Fällen sagen? Ich muß arbeiten, sonst haben wir nichts zu essen? Das kommt bei ihm nicht besonders gut an: er denkt, es ist eine Kritik an ihm, weil er keinen Job hat, und dann ist er beleidigt. Er denkt lieber, daß sie wie eine Lilie auf dem Feld ist; daß sie weder arbeitet noch spinnt; daß Speck und Kaffee einfach von ihr hervorgebracht werden, so wie ein Baum Blätter hervorbringt.
Die Yoga-Kurse finden in der Wohnung über der Koop statt, oder dem, was früher einmal eine Wohnung
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