Die Räuberbraut
sich der Einberufung zu entziehen, unterstützt, nicht aber die anderen Sachen, nicht den Sprengstoff, und sie standen »ganz schön unter Beschuß«, wie er es ausdrückte. Außerdem war er fahnenflüchtig geworden, er hatte sein Land im Stich gelassen, etwas, was für ihn eine völlig andere Bedeutung hatte als für Charis, denn in Billys Schulen wurde der Tag damit begonnen, daß man die Hand aufs Herz legte und die Flagge grüßte, statt zu Gott zu beten, wie es in Charis’ Schulen der Fall gewesen war. Für Billy war sein Land eine Art Gott; eine Vorstellung, die Charis götzendienerisch und sogar barbarisch findet. Sie findet natürlich auch den üblichen Gott mit seinem weißen Bart und seinem Zorn und seinen Opferlämmern und seinen Todesengeln barbarisch. Sie hat all das hinter sich gelassen. Ihr Gott ist oval.
Außerdem machte Billy sich Sorgen um seine Freunde daheim, um die Jungen, mit denen er in die Schule gegangen war und die nicht mit ihm geflüchtet waren und wahrscheinlich jetzt, in eben diesem Augenblick, auf dem Weg über das Meer waren oder auf Reisfeldern beschossen oder von Guerillakämpfern in die Luft gejagt wurden, während sie über eine heiße Lehmstraße marschierten. Er hatte das Gefühl, sie verraten zu haben. Er wußte, daß der Krieg falsch und das, was er getan hatte, richtig war, aber er kam sich trotzdem wie ein Feigling vor. Er hatte Heimweh. Einen großen Teil der Zeit wollte er einfach nur zurück.
So redete er mit Charis, schub- und ruckweise, in Bruchstücken und einzelnen Fetzen. Er sagte, er erwarte nicht, daß sie ihn verstehen könne, aber sie verstand einen Teil. Sie verstand seine Gefühle, die wie eine Sintflut über sie hinwegschwappten – wäßrig, chaotisch, melancholisch blau in der Farbe, wie eine große Welle aus Tränen. Er war so verloren, so verletzt, wie konnte sie sich weigern, ihm den Trost zu gewähren, den sie gewähren konnte?
31
Seit damals ist vieles anders geworden. Seit sie auf die Insel und in dieses Haus gezogen sind. Billy ist immer noch nervös, aber nicht mehr ganz so sehr. Er wirkt verwurzelter. Außerdem hat er jetzt Freunde, ein ganzes Netz von Exilanten, wie er selbst einer ist. Sie halten sogar Treffen ab, auf dem Festland; Billy fährt mehrmals die Woche hinüber. Sie helfen den Neuankömmlingen, sie reichen sie herum und verstecken sie, und Charis mußte schon mehr als einen von ihnen unterbringen, für kurze Zeit, auf dem Sofa im Wohnzimmer – einem anderen Sofa, immer noch gebraucht gekauft, aber mit besseren Sprungfedern. Das Zusammenleben mit einem anderen Menschen, hat Charis festgestellt, führt zu richtigen Möbeln, obwohl der Besitz richtiger Möbel zu den Dingen gehörte, gegen die sie sich vor Jahren strikt gewehrt hat.
Gelegentlich treffen die Exilanten sich in ihrem Haus, um Bier zu trinken und zu reden und Dope zu rauchen, obwohl sie sorgsam darauf achten, daß diese Parties nicht zu laut werden: das letzte, was sie brauchen können, ist die Polizei. Sie kommen mit der Fähre herüber und bringen ihre Freundinnen mit, Mädchen mit langen, glatten Haaren, die bedeutend jünger sind als Charis und in Charis’ Badezimmer ein Bad nehmen, weil sie dort, wo sie wohnen, kein eigenes Badezimmer haben, und sie verbrauchen Charis’ wenige Handtücher und hinterlassen Schmutzränder in Charis’ alter, klauenfüßiger Badewanne. Schmutz ist eine Illusion, eine bestimmte Art, Materie zu betrachten, und Charis weiß, daß sie sich nicht daran stören sollte, aber wenn sie sich schon mit der Illusion von Schmutz befassen muß, wäre es ihr lieber, es wäre ihr eigener Schmutz, nicht der Schmutz dieser Mädchen mit den leeren Augen. Die Männer, oder die Jungs, bezeichnen diese jungen Mädchen als »meine Alte«, obwohl sie das Gegenteil von alt sind, was dazu beiträgt, daß Charis sich bedeutend besser fühlt, wenn Billy sie ebenfalls so nennt.
Billys Gruppe redet ständig von irgendwelchen Plänen. Sie finden, sie sollten etwas tun, etwas unternehmen, aber was? Sie haben schon eine Namensliste zusammengestellt, eine Liste mit den Namen der Gruppenmitglieder, aber es sind nur Vornamen, und dazu noch falsche. Charis – die einen Blick auf Billys Kopie geworfen hat, obwohl sie das eigentlich nicht durfte – mußte mit Erstaunen feststellen, daß einige davon Frauennamen waren: Edith, Ethel, Emma. Während der Parties, wenn sie kaltes Bier aus ihrem winzigen Kühlschrank holt, wenn sie Kartoffelchips und Nüsse in Schüsseln
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