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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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das Hühnerfutter in der Kaffeedose heraus, und Zenia verstreut es, eine Handvoll nach der anderen. Sie liebt die Hühner, sagt sie. Sie sind so lebendig! Sie sind, na ja, die Verkörperung der Lebenskraft. Nicht wahr?
    Charis wird immer ganz nervös, wenn Zenia so redet. Es ist ihr zu abstrakt, es ist zu sehr wie an der Uni. Die Hühner sind keine Verkörperung von irgendwas, außer ihres Huhn-Seins. Das Konkrete ist das Abstrakte. Aber wie könnte sie das Zenia erklären?
    »Ich werd uns einen Salat machen«, sagt sie statt dessen.
    »Einen Lebenskraft-Salat«, sagt Zenia und lacht. Zum ersten Mal ist Charis nicht froh, dieses Lachen zu hören, so willkommen es ihr auch sein sollte. Es enthält etwas, was sie nicht versteht. Es ist wie ein Witz, dessen Pointe sie nicht mitbekommt.
    Der Salat besteht aus Rosinen und geraspelten Möhren, mit einem Dressing aus Zitronensaft und Honig. Die Möhren sind Charis’ eigene Möhren, aus der Kiste mit dem feuchten Sand, die im angebauten Schuppen hinter dem Haus steht; sie fangen schon an, kleine, weiße Schnurrbärte zu bekommen, ein Beweis dafür, daß sie noch leben. Charis und Zenia essen den Salat und die Limabohnen und die gekochten Kartoffeln allein, weil Billy sagt, daß er an diesem Abend weg muß. Er hat eine Versammlung.
    »Er geht zu einer Menge Versammlungen«, murmelt Zenia, als Billy seine Jacke anzieht. Sie hat es aufgegeben, nett zu Billy sein zu wollen, da sie nichts damit erreicht hat; jetzt ist sie dazu übergegangen, in der dritten Person von ihm zu sprechen, selbst wenn er dabei ist. Es bewirkt einen Kreis, einen Kreis aus Sprache, mit Zenia und Charis innen, und Billy draußen. Charis wäre froh, wenn Zenia das nicht täte; aber andererseits ist Billy selbst schuld.
    Billy wirft Zenia einen bösen Blick zu. »Wenigstens sitz ich nicht die ganze Zeit nur auf meinem Hintern rum wie gewisse andere Leute«, sagt er wütend. Auch er spricht nur mit Charis.
    »Sei vorsichtig«, sagt Charis. Sie meint, wenn er in der Stadt ist, aber Billy faßt es als Zurechtweisung auf. »Na dann, viel viel Spaß mit deiner kranken Freundin«, sagt er hämisch. Zenia lächelt in sich hinein, ein kleines, bitteres Lächeln. Die Tür fällt so laut hinter Billy zu, daß die Fensterscheiben klirren.
    »Ich finde, ich sollte gehen«, sagt Zenia, als sie das Apfelmus essen, das Charis im Herbst eingemacht hat.
    »Aber wo willst du denn wohnen?« sagt Charis verzweifelt.
    »Ich werd schon was finden«, sagt Zenia.
    »Aber du hast doch kein Geld!« sagt Charis.
    »Ich find schon einen Job«, sagt Zenia. »Darin bin ich gut. Ich kann immer irgendwem in den Arsch kriechen, ich weiß, wie man an Jobs rankommt.« Sie hustet und versteckt ihr Gesicht hinter ihren spinnendünnen Fingern. »Entschuldige«, sagt sie und nippt wie ein Vögelchen an ihrem Glas Wasser.
    »O nein«, sagt Charis. »Das kannst du nicht! Dafür bist du nicht gesund genug! Aber bald«, fügt sie hinzu, weil sie nicht zu negativ klingen will. Es ist die Gesundheit, nicht die Krankheit, die verstärkt werden muß.
    Zenia lächelt dünn. »Vielleicht«, sagt sie. »Aber Karen, wirklich – mach dir wegen mir keine Sorgen. Es ist nicht dein Problem.«
    »Charis«, sagt Charis. Zenia hat Probleme, sich an ihren richtigen Namen zu erinnern.
    Und ja, es ist ihr Problem, weil sie es sich aufgebürdet hat.
    Dann sagt Zenia etwas viel Schlimmeres. »Es liegt nicht nur daran, daß er mich haßt«, sagt sie. Ihre Zunge kommt zum Vorschein und leckt das Apfelmus von der Spitze ihres Löffels. »Tatsache ist, daß er es kaum schafft, die Finger von mir zu lassen.«
    »West?« sagt Charis. Ein kalter Finger streicht über ihr Rückgrat.
    Zenia lächelt. »Nein«, sagt sie. »Billy. Es muß dir doch auch schon aufgefallen sein.«
    Charis merkt, wie die Haut ihres Gesichts vor Entsetzen nach unten sinkt. Ihr ist überhaupt nichts aufgefallen. Wieso eigentlich nicht? Jetzt, wo Zenia es gesagt hat, ist es ihr völlig klar – die Energie, die aus Billys Finger und Haarspitzen sprüht, wann immer Zenia in der Nähe ist. Ein sexuelles Haaresträuben, wie bei einem Kater. »Wie meinst du das?« sagt sie.
    »Er will mich ins Bett schleifen«, sagt Zenia. Ihre Stimme klingt leise bedauernd. »Er will mich bespringen.«
    »Er liebt dich?« sagt Charis. Ihr ganzer Körper ist schlaff geworden, als wären ihre Knochen geschmolzen. Grauen, das ist es, was sie empfindet. Billy liebt mich, protestiert sie stumm. »Billy liebt mich« , sagt sie

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