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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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praktisch zählen.
    »Schaff sie hier raus«, sagte Billy, als Zenia ins Badezimmer gegangen war. »Einfach raus. «
    »Pst«, sagte Charis. »Sie hört dich!«
    »Was wissen wir eigentlich über sie?« sagte Billy.
    »Sie hat Krebs«, sagte Charis, als sei das alles, was man wissen mußte.
    »Dann sollte sie ins Krankenhaus gehen«, sagte Billy.
    »Sie glaubt nicht an Krankenhäuser«, sagte Charis, die gleichfalls nicht an sie glaubte.
    »Schwachsinn«, sagte Billy.
    Charis fand diese Bemerkung nicht nur kleinlich und grob, sondern auch ein wenig frevlerisch. »Sie hat ein blaues Auge!« murmelte sie. Das blaue Auge war der lebende Beweis für irgend etwas. Für Zenias Bedürftigkeit, oder dafür, daß sie gut war. Für ihren Status.
    »Nicht von mir«, sagte Billy. »Sie soll gehen und anderen Leuten den Kühlschrank leeressen.« Charis brachte es nicht übers Herz zu sagen, daß, falls überhaupt jemand zu entscheiden hatte, wer in diesem Haus was aß, sie das sein sollte, da sie diejenige war, die die Sachen entweder anpflanzte oder bezahlte.
    »Er kann mich nicht leiden, nicht?« sagte Zenia, als Billy seinerseits außer Hörweite war. Ihre Stimme bebte, ihre Augen wurden feucht. »Vielleicht sollte ich lieber wieder...«
    »Nein, das stimmt nicht! Es ist nur seine Art«, sagte Charis voller Wärme. »Du bleibst schön da, wo du bist.«
     
    Es dauerte eine Weile, bis Charis dahinterkam, weshalb Billy so feindselig zu Zenia war. Zuerst dachte sie, er hätte Angst vor ihr – Angst, daß sie ihn verraten, den falschen Leuten einen Tip geben, ihn ins Gefängnis bringen könnte; oder daß sie einfach ohne sich etwas dabei zu denken irgendwas zu irgendwem sagen würde, etwas Indiskretes. Lose Zungen versenken Schiffe lautete ein Slogan während des Krieges, des alten Krieges; er stand auf Plakaten, und Charis’ Tante Viola zitierte ihn immer wie einen Witz, wenn sie mit ihren Freundinnen sprach, damals, in den späten Vierzigern. Also erklärte Charis Zenia alles, erklärte ihr, wie gefährdet Billy sich fühlte, und wie schwierig die Dinge für ihn waren. Sie erzählte Zenia sogar von den Bomben, von den Sprengstoffanschlägen, und daß Billy vielleicht von den Mounties gekidnappt werden könnte. Zenia versprach, nichts zu verraten. Sie sagte, sie verstehe vollkommen.
    »Ich werd vorsichtig sein, Ehrenwort«, sagte sie. »Aber Karen – entschuldige, Charis –, wie bist du bloß da reingeraten?«
    »Wo reingeraten?« sagte Charis.
    »In diese Geschichte mit den Kriegsdienstflüchtlingen«, sagte Zenia. »Den Revolutionären. Ich hatte damals nicht den Eindruck, daß du ein sehr politischer Mensch bist. An der Uni, mein ich. Nicht etwa, daß es in diesem Saftladen massenweise Revolutionäre gegeben hätte.«
    Charis hätte nicht gedacht, daß sie Zenia aufgefallen war, damals, in ihrer vagen, halbvergessenen Universitätszeit, als sie noch Karen war, zumindest nach außen hin. Sie hatte sich an nichts beteiligt, sie hatte sich nicht hervorgetan. Sie war in den Schatten geblieben, aber wie sich zeigte, hatte wenigstens Zenia sie dort bemerkt und sie für wert befunden, bemerkt zu werden, und sie war gerührt. Zenia mußte ein sensibler Mensch gewesen sein; sensibler als die anderen ihr zugute hielten.
    »Bin ich auch nicht«, sagte Charis. »Ich war überhaupt nicht politisch.«
    »Ich schon«, sagte Zenia. »Ich war damals total antibourgeois! Eine echte Mitläuferin der Boheme.« Sie runzelte die Stirn und lachte dann. »Warum auch nicht, die Bohemiens gaben die besten Parties.«
    »Na ja«, sagte Charis, »jedenfalls bin ich nirgends reingeraten. Ich versteh nichts von diesen Dingen. Ich leb einfach nur mit Billy, das ist alles.«
    »Wie eine Kanonen-Molly«, sagte Zenia, die sich etwas besser fühlte. Es war ein warmer Tag für November, und Charis hatte beschlossen, daß ein Spaziergang Zenia nicht schaden würde. Sie waren unten am See und beobachteten die Möwen; Zenia hatte den ganzen Weg zurückgelegt, ohne sich auch nur ein einziges Mal an Charis’ Arm festzuhalten. Charis hatte ihr angeboten, ihr eine neue Sonnenbrille zu besorgen – Zenia hatte ihre alte zurückgelassen, in der Nacht, in der sie weggelaufen war –, aber sie brauchte sie so gut wie nicht mehr: ihr Auge war zu einem gelblichen Blau verblaßt, wie ein ausgewaschener Tintenfleck.
    »Eine was?« sagte Charis.
    »Mann«, sagte Zenia lächelnd. »Wenn die Tatsache, daß man mit jemandem zusammenlebt, nicht reingeraten bedeutet, dann

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