Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
Vom Netzwerk:
mit erstickter Stimme. »Er hat es gesagt.« Sie merkt selbst, daß sie sich wie ein weinerliches Kind anhört. Und wann war das letzte Mal, daß er das gesagt hat?
    »Ach, es hat nichts mit Liebe zu tun«, sagt Zenia sanft. »Das, was er für mich empfindet, mein ich. Es ist Haß. Manchmal fällt es den Männern schwer, den Unterschied zu bemerken. Aber das weißt du ja selbst, nicht wahr?«
    »Wovon redest du?« flüstert Charis.
    Zenia lacht. »Komm schon, du bist schließlich kein Baby mehr. Er liebt deine Möse. Oder vielleicht ist es auch dein Arsch, woher soll ich das wissen? Jedenfalls ist es garantiert nicht deine Seele, nicht du. Wenn du’s ihm nicht geben würdest, würde er es sich einfach nehmen. Ich hab ihn beobachtet, er ist ein gieriger Scheißkerl, im Grunde ihres Herzens sind sie alle Vergewaltiger. Du bist naiv, Karen. Glaub mir, es gibt nur eines, was ein Mann je von einer Frau will, und das ist Sex. Das einzige, worauf es ankommt, ist die Frage, wie man sie dazu bringt, möglichst viel dafür zu bezahlen.«
    »Sag das nicht«, sagt Charis. »Sag das nicht!« Sie spürt, wie etwas in ihr zerbricht, in sich zusammensackt, ein riesiger, in allen Regenbogenfarben schimmernder Ballon, zerrissen und immer grauer werdend, wie eine punktierte Lunge. Was bleibt, wenn man die Liebe wegnimmt? Nur Brutalität. Nur Scham. Nur Grausamkeit. Nur Schmerz. Was wird dann aus ihren Geschenken, ihrem Garten, ihren Hühnern, ihren Eiern? All ihrer sorgfältigen Pflege? Sie zittert, ihr ist schlecht.
    »Ich bin nur realistisch, das ist alles«, sagt Zenia. »Er will seinen Schwanz nur deshalb in mich reinstecken, weil er’s nicht kann. Mach dir keine Sorgen, er wird’s vergessen, sobald ich weg bin. Sie haben ein kurzes Gedächtnis. Deshalb will ich gehen, Karen – deinetwegen.« Sie lächelt immer noch. Sie sieht Charis an, im schwachen Licht der Glühbirne, die von der Decke hängt, liegt ihr Gesicht im Dunkeln, nur ihre Augen leuchten daraus hervor, rot, wie ins Licht von Autoscheinwerfern getaucht, und der Blick dringt in Charis ein, immer tiefer und tiefer. Es ist ein resignierter Blick. Zenia akzeptiert ihren eigenen Tod.
    »Aber du wirst sterben«, sagt Charis. Das kann sie nicht zulassen. »Du darfst nicht aufgeben!« Sie fängt an zu weinen. Sie greift nach Zenias Hand, oder Zenia greift nach ihrer, und die beiden klammern sich quer über den Tisch voll dreckigen Geschirrs aneinander.
     
    Charis liegt in der Nacht wach. Billy ist zurückgekommen, lange nachdem sie selbst ins Bett gegangen ist, aber er hat nicht nach ihr gegriffen. Statt dessen hat er sich umgedreht und sich in sich selbst verschlossen und ist eingeschlafen. So ist es oft, dieser Tage. Es ist, als hätten sie sich gestritten. Aber jetzt weiß sie, daß es auch noch einen anderen Grund gibt: sie wird nicht mehr gewollt. Es ist Zenia, die gewollt wird.
    Aber Billy will Zenia nur mit dem Körper. Deshalb ist er so unfreundlich zu ihr – sein Körper ist von seinem Geist getrennt. Deshalb ist er so kalt zu Charis: sein Körper will Charis aus dem Weg haben, damit er sich Zenia greifen kann, sie gegen den Küchenschrank drängen kann, sie gegen ihren Willen nehmen kann, obwohl sie so krank ist. Vielleicht weiß er nicht, daß es das ist, was er will. Aber es ist das, was er will.
    Draußen ist Wind aufgekommen. Charis hört, wie er durch die kahlen Bäume schabt, hört auch, wie die kalten Wellen ans Ufer schlagen. Eine Frau kommt über den See auf sie zu, ihre nackten Füße berühren die Spitzen der Wellen, ihr Nachthemd ist von den vielen Jahren in Wind und Wetter zerrissen, ihre farblosen Haare fliegen. Charis schließt die Augen, konzentriert sich auf das innere Bild, versucht zu erkennen, wer die Frau ist. In ihrem Kopf scheint der Mond, verdunkelt von vorbeiziehenden Wolken; aber jetzt wird der Himmel heller, und sie kann das Gesicht sehen.
    Es ist Karen, es ist die verbannte Karen. Sie hat eine lange Reise hinter sich. Jetzt kommt sie näher, mit jenem ängstlichen, machtlosen Gesicht, das sich früher im Spiegel vor Charis’ eigenes Gesicht schob, sie wird durch die Dunkelheit auf sie zugeweht wie ein vertriebener Geist, auf dieses Haus zu, in das Charis sich zurückgezogen hat, in dem sie sich sicher fühlte; sie fordert Einlaß, sie will sich wieder mit ihr vereinen, sie will wieder ihren Körper mit ihr teilen.
    Charis ist nicht Karen. Sie ist schon lange nicht mehr Karen, und sie will nie wieder Karen sein. Sie drückt mit aller

Weitere Kostenlose Bücher