Die Räuberbraut
möchte ich wissen, was sonst.« Aber Charis war nicht daran interessiert, was andere Leute als was bezeichneten. Außerdem hörte sie Zenia nicht zu, sie beobachtete, wie Zenia lächelte.
Zenia lächelt jetzt häufiger. Charis hat das Gefühl, dieses Lächeln im Alleingang zustande gebracht zu haben, durch all die viele Arbeit, die sie hineingesteckt hat: die Obstsäfte, den Kohlsaft aus ihren eigenen Kohlköpfen, kleingeschnitten und durch ein Sieb geschlagen, die speziellen Bäder, die sie vorbereitet, die sanften Yoga-Übungen, die sorgfältig eingeteilten Spaziergänge an der frischen Luft. All diese positiven Energien beziehen Stellung gegen die Krebszellen, gute Soldaten gegen böse, Licht gegen Dunkelheit; Charis selbst nimmt sich jeden Tag Zeit für eine Meditation, für Zenia, um eben diese Wirkung heraufzubeschwören. Und es funktioniert, es funktioniert! Zenia hat jetzt mehr Farbe, mehr Energie. Obwohl sie immer noch sehr dünn und schwach ist, geht es ihr sichtlich besser.
Sie merkt es selbst und ist dankbar dafür. »Du tust so viel für mich«, sagt sie zu Charis, fast jeden Tag. »Ich hab das nicht verdient;
ich mein, ich bin doch eine völlig Fremde für dich, du kennst mich doch kaum.«
»Das ist schon in Ordnung«, sagt Charis verlegen. Sie wird ein bißchen rot, wenn Zenia solche Sachen sagt. Sie ist es nicht gewöhnt, daß die Leute ihr für das danken, was sie tut, und außerdem findet sie, daß es nicht nötig ist. Gleichzeitig aber ist es ein sehr angenehmes Gefühl; und nochmals gleichzeitig kommt ihr der Gedanke, daß auch Billy ruhig ein bißchen dankbarer sein könnte, für alles, was sie für ihn getan hat. Statt dessen sieht er sie böse an und ißt seinen Speck nicht. Er will, daß sie zweimal Frühstück macht – einmal für Zenia, und einmal, getrennt, für ihn damit er nicht mit Zenia am selben Tisch sitzen muß.
»Die Art, wie sie sich an dich ranschmeißt, ist einfach zum Kotzen«, hat er gestern gesagt. Charis weiß jetzt, wieso er diese Dinge sagt. Er ist eifersüchtig. Er hat Angst, daß Zenia sich zwischen sie drängen könnte, daß sie ihm Charis’ ungeteilte Aufmerksamkeit irgendwie wegnehmen könnte. Es ist kindisch von ihm, so zu empfinden. Schließlich hat er keine lebensbedrohliche Krankheit, und eigentlich müßte er inzwischen wissen, daß Charis ihn liebt. Also berührt Charis seinen Arm.
»Sie wird ja nicht für immer hier sein«, sagt sie. »Nur bis es ihr ein bißchen besser geht. Nur bis sie eine eigene Wohnung gefunden hat.«
»Ich helf ihr beim Suchen«, sagt Billy. Charis hat ihm erzählt, daß Zenia das blaue Auge von West hat, und seine Reaktion war nicht gerade freundlich. »Ich übernehm gern das andere«, hat er gesagt. »Knall, peng, vielen Dank, Madam, es war mir ein wirkliches Vergnügen.«
»Das ist nicht sehr pazifistisch von dir«, sagte Charis vorwurfsvoll.
»Ich hab nie gesagt, daß ich ein gottverdammter Pazifist bin«, sagte Billy beleidigt. »Nur weil ein Krieg falsch ist, heißt das noch lange nicht, daß alle es sind.«
»Charis«, rief Zenia klagend aus dem Wohnzimmer. »Ist das Radio an? Ich hab Stimmen gehört. Ich hab gerade ein bißchen geschlafen.«
»Ich kann nicht mal mehr in meinem eigenen Haus ein verdammtes Wort sagen«, zischte Billy.Es sind Augenblicke wie dieser, in denen Charis in den Garten geht, um umzugraben.
Sie stößt den Spaten in die Erde, hebt ihn an, dreht die Erde um, hält inne, um nach Maden Ausschau zu halten. Dann hört sie Zenias Stimme hinter sich.
»Du bist so stark«, sagt Zenia wehmütig. »Früher war ich auch so stark. Ich konnte drei Koffer auf einmal tragen.«
»Das kommt wieder«, sagt Charis so herzlich sie kann. »Das weiß ich genau!«
»Vielleicht«, sagt Zenia mit leiser, trauriger Stimme. »Es sind die kleinen, alltäglichen Dinge, die man am meisten vermißt. Verstehst du?«
Plötzlich hat Charis Schuldgefühle, weil sie ihren eigenen Garten umgräbt; oder zumindest hat sie das Gefühl, Schuldgefühle haben zu sollen. So geht es ihr bei vielen Dingen, die sie tut: beim Fußbodenschrubben, beim Brotbacken. Zenia bewundert sie, während sie all diese Dinge tut, aber es ist eine melancholische Bewunderung. Manchmal hat Charis das Gefühl, daß ihr eigener, gesunder, kräftiger Körper ein Vorwurf für Zenias geschwächten ist; daß Zenia ihr einen Vorwurf daraus macht.
»Füttern wir die Hühner«, sagt sie. Die Hühner füttern ist etwas, das Zenia tun kann. Charis bringt
Weitere Kostenlose Bücher