Die Räuberbraut
Sie überlegt, ob sie genug Holz haben, um sich warmzuhalten, wenn der richtige Winter kommt. In der Koop gibt es einen Mann, der möglicherweise bereit wäre, Holz gegen Yoga-Stunden zu tauschen, aber Holz ist schwer, wie soll sie es auf die Insel schaffen? Außerdem brauchen sie Wintersachen. Billy ist heute abend in der Stadt, er hat schon wieder eine Versammlung. Sie stellt sich vor, wie er an der Anlegestelle steht, auf die letzte Fähre wartet und in seiner dünnen Jacke zittert. Sie sollte ihm etwas stricken. Sie wird in den Goodwill-Laden gehen, bald, und versuchen, ein paar Mäntel zu ergattern.
Einen für Billy, einen für sich, und einen für Zenia, weil Zenia nur die Kleider hat, die sie am Leib trägt. Sie hat Angst, in Wests Wohnung zu gehen und den Rest ihrer Kleider zu holen, sagt sie wenigstens. Sie hat Angst, daß West sie umbringen könnte. Er hat eine obsessive Persönlichkeit – nach außen hin sanft, aber manchmal rastet er aus, der Gedanke, daß sie sterben könnte, macht ihn schier wahnsinnig. Wenn er sie verlieren soll, wenn sie sterben muß, will er ihren Tod wenigstens selbst kontrollieren. Viele Männer sind so, sagt Zenia, mit einem erinnerungsträchtigen Blick ins Leere, einem winzigen Lächeln. Liebe macht sie verrückt.
Es gab eine Zeit, da hätte Charis eine derartige Bemerkung nicht verstanden. Jetzt tut sie es.
Charis ist sicher, daß sie schwanger ist. Ihre letzte Periode ist ausgeblieben, aber das ist nicht alles: ihr Körper fühlt sich anders an, nicht mehr straff und sehnig, sondern schwammig, fließend. Gesättigt. Er hat eine andere Energie, ein dunkles, orange angehauchtes Rosa, wie das Innere einer Hibiskusblüte. Sie hat Billy noch nichts gesagt, weil sie nicht sicher ist, wie er es aufnehmen wird.
Sie hat auch Zenia noch nichts gesagt. Zum einen, weil sie Zenia nicht wehtun will. Zenia kann wegen ihrer Hysterektomie keine Kinder bekommen, und Charis möchte nicht prahlen oder angeben. Zum anderen schläft Zenia jetzt in dem kleinen Zimmer oben, dem Zimmer, in dem früher Charis’ Kartons standen. Sie haben sie dort untergebracht, weil Billy sich darüber beklagte, daß man im Wohnzimmer nie seine Ruhe haben könne. Genau dieses kleine Zimmer will Charis zum Kinderzimmer machen, wenn Zenia weg ist. Wie also kann sie Zenia sagen, daß sie schwanger ist, ohne sie praktisch auf die Straße zu setzen?
Und das könnte sie nicht, noch nicht; obwohl Charis, wenn Zenia von Gehen spricht, nicht mehr sagt, daß sie nicht einmal daran denken soll. Sie ist hin und her gerissen: sie will, daß Zenia geht, aber sie will nicht, daß sie stirbt. Sie würde sie gerne gesund machen und dann nie Wiedersehen. Im Grunde haben sie nicht so sehr viel gemeinsam, und jetzt, wo Charis einen Teil von Zenia in sich hat, den einzigen Teil, der für sie wichtig ist, wäre es ihr lieber, die tatsächliche, leibliche Zenia nicht mehr um sich haben zu müssen. Zenia nimmt eine Menge Zeit in Anspruch. Und – obwohl Charis es haßt, so zu denken – eine gewisse Menge Geld. Charis hat wirklich nicht genug Geld für drei.
Zenia sieht bedeutend besser aus, aber das kann täuschen. Manchmal ißt sie eine richtige Mahlzeit und läuft dann ins Badezimmer, um sich zu übergeben. Und erst gestern, nachdem sie darüber gesprochen hatten, wann Zenia vielleicht soweit wäre, gehen zu können – nachdem sie gesagt hatte, sie sei sicher, die Tumore seien kleiner geworden, sie bekomme sie allmählich in den Griff-, ging Charis ins Badezimmer und fand die Toilettenschüssel voller Blut. Wenn eine andere Frau im Haus gewesen wäre, hätte sie angenommen, diese Frau habe ihre Periode und vergessen, die Spülung zu betätigen. Aber Zenia kann keine Periode mehr bekommen. Das hat sie selbst gesagt.
Charis machte sich Sorgen und erkundigte sich nach dem Blut; Zenia winkte ab. Es war nur ein kleiner Blutsturz, sagte sie. Mehr oder weniger wie Nasenbluten. Kein Grund zur Aufregung. Charis bewundert ihren Mut, aber wem will Zenia etwas vormachen? Sich selbst vielleicht. Charis jedenfalls kann sie nichts vormachen. Von Zeit zu Zeit überlegt Charis, ob sie nicht doch ein Krankenhaus Vorschlägen soll. Aber sie kann Krankenhäuser nicht ausstehen. Weil ihre Mutter in einem starb, sind Krankenhäuser für sie Orte, die man aufsucht, um zu sterben. Sie macht bereits Pläne, das Baby zu Hause zur Welt zu bringen.
Charis und Zenia sitzen am Küchentisch. Sie sind gerade mit dem Abendessen fertig: gebackene
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