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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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fragt sie.
    »Meine Mutter war eine rumänische Zigeunerin«, sagt Zenia beiläufig. »Sie hat gesagt, es liegt in der Familie.«
    »Das ist gut möglich«, sagt Charis. Für sie klingt das durchaus einleuchtend: sie weiß, daß es solche Fertigkeiten gibt, sie braucht nur an ihre eigene Großmutter zu denken. Und Zenias schwarze Haare und dunkle Augen, und auch ihr Fatalismus – das alles würde gut zu einer Zigeunerin passen.
    »Sie wurde zu Tode gesteinigt, im Krieg«, sagt Zenia.
    »Das ist ja furchtbar!« sagt Charis. Kein Wunder, daß Zenia Krebs hat – es ist die Vergangenheit, die in ihrem Inneren liegt, eine bedrückende Schwermetall-Vergangenheit, die sie nie aus sich ausgeräumt hat. »Von den Deutschen?« Gesteinigt zu werden kommt ihr schlimmer vor, als erschossen zu werden. Langsamer, schmerzhafter, quälender; aber nicht sehr deutsch. Wenn sie an die Deutschen denkt, denkt sie an Scheren, an weiße Emailletische. Wenn sie an Steinigung denkt, sieht sie Staub und Fliegen und Kamele und Palmen. Wie im Alten Testament.
    »Nein, von einer Horde Dorfbewohner«, sagt Zenia. »In Rumänien. Sie dachten, sie hätte den bösen Blick, sie dachten, sie hätte ihre Kühe verhext. Sie wollten keine Kugeln vergeuden, also nahmen sie Steine. Steine und Knüppel. Zigeuner waren da drüben nicht besonders beliebt. Wahrscheinlich sind sie es immer noch nicht. Aber sie wußte, was passieren würde, sie war Hellseherin. Sie übergab mich einer Freundin, in einem anderen Dorf, in der Nacht davor. Das hat mir das Leben gerettet.«
    »Dann sprichst du doch sicher ein bißchen Rumänisch«, sagt Charis. Hätte sie das alles vorher gewußt, hätte sie Zenias Heilung anders angepackt, hätte sie es nicht nur mit Yoga und Kohl versucht. Sie hätte mehr Visualisierungen versucht, und nicht nur in bezug auf den Krebs, sondern auch in bezug auf die Rumänen. Vielleicht liegt der Schlüssel zu Zenias Krankheit in einer anderen Sprache verborgen.
    »Ich hab es verdrängt«, sagt Zenia. »Das hättest du wahrscheinlich auch getan. Ich hab mir meine Mutter sehr genau ansehen können, nachdem sie mit ihr fertig waren. Sie ließen sie einfach liegen, im Schnee. Sie war nur noch ein Klumpen Hackfleisch.«
    Charis zuckt innerlich zusammen. Das Bild dreht ihr den Magen um. Es erklärt, wieso Zenia sich so oft übergeben muß – wenn dieses Bild in ihrem Kopf herumspukt. Sie muß diese giftigen Bilder aus sich herausbekommen.
    »Wo war dein Vater?« sagt sie, um Zenia von ihrer toten Mutter abzulenken.
    »Er war Finne«, sagt Zenia. »Von ihm hab ich die Wangenknochen geerbt.«
    Charis hat nur eine vage Vorstellung, wo Finnland liegt. Es gibt dort Bäume und Saunas und Fellstiefel und Rentiere. »Oh«, sagt sie. »Wieso war er in Rumänien?«
    »War er nicht«, sagt Zenia. »Die beiden waren Kommunisten, vor dem Krieg. Sie haben sich auf einem Jugendkongreß in Leningrad kennengelernt. Er ist später gefallen, in Finnland, als er gegen die Russen kämpfte, im Winterkrieg. Komisch, was? Er dachte, er sei auf ihrer Seite, und dann waren sie es, die ihn töteten.«
    »Mein Vater ist auch im Krieg gestorben«, sagt Charis. Sie ist froh, daß sie etwas gemeinsam haben.
    »Das sind eine Menge Leute«, sagt Zenia achselzuckend. »Aber das ist Geschichte.« Sie hat die Karten zusammengeschoben und legt sie jetzt neu aus. »Ah«, sagt sie. »Die Pik-Dame.«
    »Sind das noch meine Karten?« fragt Charis.
    »Nein«, sagt Zenia. »Die hier sind für mich.« Sie sieht nicht auf die Karten, sondern an die Decke, schräg, aus halbgeschlossenen Augen. »Die Pik-Dame bedeutet Unglück. Manche sagen, es ist die Todeskarte.« Die langen schwarzen Haare fallen wie ein dichter Schleier über ihr Gesicht.
    »O nein«, sagt Charis, entsetzt. »Ich finde, wir sollten damit aufhören. Es ist zu negativ.«
    »Okay«, sagt Zenia, als sei ihr egal, was sie tut. »Ich glaub, ich geh jetzt ins Bett.«
    Charis hört, wie sie die Treppe hinaufgeht, einen Fuß hinter dem anderen herziehend.

37
    Der Winter schleppte sich dahin. Er zehrte sie aus. Ein Bad zu nehmen war eine arktische Erfahrung, die Hühner zu füttern eine Polar-Expedition: durch den Schnee stapfen, gegen den eisigen Wind ankämpfen, der vom See herüberfegte. Die Hühner selbst hatten es warm und gemütlich, im Inneren des Hauses, das Billy gebaut hatte. Das Stroh und der Mist hielten sie warm, so wie es sein sollte.
    Charis wünschte sich, unter ihrem Haus gäbe es auch eine wärmende Strohschicht. Sie

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