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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Kartoffeln, gekochte Kürbisse, Krautsalat. Der Kohl für den Salat stammt vom Markt, weil Charis’ eigener Kohl restlos aufgebraucht ist. Er wurde zu Saft verarbeitet und in Zenia hineingekippt, eine grüne Transfusion.
    »Du siehst heute kräftiger aus«, sagt Charis hoffnungsvoll.
    »Ich bin stark wie ein Ochse«, sagt Zenia. Sie legt den Kopf einen Moment auf die Tischplatte und hebt ihn dann mit sichtlicher Mühe. »Wirklich.«
    »Ich mach dir eine Tasse Ginseng«, sagt Charis.
    »Danke«, sagt Zenia. »Und? Wo ist er heute abend?«
    »Billy?« sagt Charis. »Auf irgendeiner Versammlung, nehm ich an.«
    »Machst du dir nie Gedanken?« sagt Zenia.
    »Worüber?« sagt Charis.
    »Daß er nicht auf irgendeiner Versammlung ist.«
    Charis lacht. Sie ist in letzter Zeit selbstbewußter. »Du meinst, eine andere Frau?« sagt sie. »Nein. Außerdem würde es nichts ändern.« Sie glaubt daran. Billy kann mit anderen Frauen machen was er will, weil es einfach nicht zählen würde.
    Billy hat angefangen, mit Zenia zu sprechen. Er sagt jetzt guten Morgen zu ihr, und wenn er in ein Zimmer kommt, in dem sie bereits ist, nickt und brummt er. Das, was er seine Südstaatenmanieren nennt, führt einen steten Kampf gegen seine Abneigung gegen Zenia, und die Manieren scheinen zu gewinnen. Neulich abends hat er ihr sogar einen Zug von seinem Joint angeboten. Aber Zenia schüttelte den Kopf, und Billy fühlte sich zurückgestoßen, und damit hatte es sich. Charis würde Zenia gerne bitten, es Billy nicht so schwer zu machen, ihm auf halbem Weg entgegenzukommen, aber so, wie er sich die ganze Zeit benommen hat, kann sie das nicht gut tun.
    Hinter Zenias Rücken ist Billy eher noch unfreundlicher als zu Anfang. »Wenn sie Krebs hat, fresse ich meinen Hut«, hat er vor zwei Tagen gesagt.
    »Billy!« rief Charis entsetzt. »Sie hatte eine Operation. Sie hat eine große Narbe!«
    »Hast du sie gesehen?« sagte Billy.
    Hatte Charis nicht. Wie auch? Wie könnte sie fragen, ob sie die Operationsnarbe eines anderen Menschen sehen kann? So etwas tat man einfach nicht.
    »Willst du ’ne kleine Wette?« sagte Billy. »Fünf Dollar, daß sie keine hat.«
    »Nein«, sagte Charis. Wie hätte man so etwas beweisen können?
    Sie hatte eine kurze Vision, in der Billy in Zenias Zimmer stürmte und ihr das Nachthemd vom Leib riß. Und das war ganz bestimmt nicht das, was sie wollte.
    »Einen Penny für deine Gedanken«, sagt Zenia.
    »Was?« sagt Charis. Sie denkt an Zenias Narbe.
    »Billy ist ein großer Junge«, sagt Zenia. »Du solltest seinetwegen nicht so nervös sein. Er kann auf sich selbst aufpassen.«
    »Ich hab an den Winter gedacht«, sagt Charis. »Und wie wir ihn überstehen werden.«
    »Nicht wie, ob«, sagt Zenia. »Oh, tut mir leid. Zu morbid. Einen Tag nach dem anderen.«
     
    Meistens geht Zenia früh ins Bett, weil Charis sie schickt, aber manchmal bleibt sie auch auf. Charis macht dann ein schönes Feuer im Herd, und sie sitzen am Küchentisch und reden. Manchmal hören sie Musik, manchmal spielen sie Solitaire.
    »Ich kann Karten lesen«, sagt Zenia eines Abends. »Hier, ich leg sie für dich.«
    Charis ist sich nicht sicher. Sie findet nicht, daß es eine gute Idee ist, die Zukunft zu kennen, weil man sie kaum jemals ändern kann, warum also doppelt leiden? »Nur zum Spaß«, sagt Zenia. Sie läßt Charis dreimal mischen und von ihrem Körper weg abheben, damit das Pech nicht auf sie zugehen kann, und dann legt sie die Karten in drei Reihen aus, eine für die Vergangenheit, eine für die Gegenwart, und eine für die Zukunft. Sie sieht sich die Reihen an und fügt dann eine vierte Gruppe von Karten hinzu, die quer verläuft.
    »Jemand Neues tritt in dein Leben«, sagt sie. Oh, denkt Charis. Das muß das Baby sein. »Und jemand anderes verläßt es. Es hat etwas mit Wasser zu tun, dem Überqueren von Wasser.« Zenia selbst, denkt Charis. Es wird ihr bald besser gehen, sie wird uns bald verlassen. Und jeder, der von hier weggeht , muß Wasser überqueren.
    »Ist da was über Billy?« fragt sie.
    »Hier ist ein Bauer«, sagt Zenia. »Der Pik-Bauer. Das könnte er sein. Überkreuzt von der Karo-Dame.«
    »Hat Karo nicht was mit Geld zu tun?« sagt Charis.
    »Ja«, sagt Zenia, »aber die Karte liegt quer. Etwas an diesem Geld ist faul. Vielleicht wird er anfangen, mit Drogen zu handeln oder sonstwas.«
    »Billy doch nicht«, sagt Charis. »So dumm ist er nicht.« Sie will nicht mehr weitermachen. »Wo hast du das eigentlich gelernt?«

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