Die Räuberbraut
heftete alte Decken an die Wände, sie verstopfte die offensichtlichsten Ritzen mit zusammengeknülltem Zeitungspapier. Zum Glück hatten sie genug Holz: Charis hatte es geschafft, welches zu kaufen, billig, von einem Mann, der aufgegeben hatte und aufs Festland zurückgezogen war. Es war nicht zerkleinert, und Billy hackte den größten Teil an den wärmeren Tagen: er hackte gerne Holz. Aber im Haus war es trotzdem kalt, außer wenn Charis das Feuer so hoch aufschichtete, daß es gefährlich wurde. Die Luft wurde dann stickig und roch nach aufgewärmten Mäusenestern. Unter dem Fußboden lebten tatsächlich Mäuse, die die Kälte hierher getrieben hatte; nachts kamen sie heraus, um sich an den Krümeln gütlich zu tun und ihre Kötel auf dem Tisch zu hinterlassen. Zenia fegte die Kötel naserümpfend auf den Boden.
Es war keine Rede mehr davon, daß sie bald gehen würde. Jeden Morgen gab sie Charis ein Bulletin über ihren Gesundheitszustand: besser, schlechter. Einen Tag fühlte sie sich einem Spaziergang gewachsen, am nächsten erzählte sie Charis, die Haare fielen ihr aus. Sie äußerte keine Hoffnung mehr, sie schien nicht mehr an ihrem eigenen Körper teilzuhaben. Sie nahm die Dinge, die Charis ihr anbot – den Karottensaft, die Kräutertees – passiv und ohne großes Interesse; sie nahm sie Charis zuliebe, aber sie glaubte nicht mehr wirklich, daß sie ihr guttun würden. Sie hatte Phasen der Depression, in denen sie auf dem Sofa im Wohnzimmer lag, in eine Decke eingewickelt, oder in sich zusammengesunken am Tisch hockte. »Ich bin ein schrecklicher Mensch«, sagte sie mit zitternder Stimme zu Charis. »Ich bin die Mühe nicht wert, die du dir machst.«
»Sag das nicht«, sagte Charis dann. »Wir alle haben manchmal diese Gefühle. Sie kommen von der Schattenseite. Denk an die besten Dinge in dir.« Zenia belohnte sie mit einem kleinen, unsicheren Lächeln. »Und wenn es keine gibt?« sagte sie mit schwacher Stimme.
Zenia und Billy hielten Distanz zueinander. Beide beklagten sich immer noch bei Charis über den anderen; es schien ihnen Spaß zu machen, den anderen durchzuhecheln. Beide liebten den quengelnden Geschmack des Namens des anderen, den Geschmack der Anklage, den schlechten Geschmack. Charis hätte Billy gerne gebeten, nicht so grob zu Zenia zu sein: er könnte sie dazu bringen, ihn zu verraten, wegen der Bomben. Aber das konnte sie nicht, ohne zuzugeben, daß sie sein Vertrauen mißbraucht hatte, daß Zenia Bescheid wußte. Und dann würde er wütend auf sie sein.
Charis wollte keine Wut. Sie wollte nur glückliche Gefühle, weil alle anderen Gefühle ihr Baby beflecken würden. Sie versuchte, sich ausschließlich mit Dingen zu beschäftigen, die ihr Frieden brachten: mit dem Weiß, unmittelbar nachdem es geschneit hatte, bevor sich der Dreck der Stadt darüberlegen konnte; mit dem Glitzern der Eiszapfen in der Woche, in der sie den Eissturm hatten, der die Telefonleitungen niederriß. Sie spazierte allein über die Insel, sorgfältig darauf achtend, auf den vereisten Wegen nicht auszurutschen. Ihr Bauch wurde jetzt härter und runder, ihre Brüste schwollen an. Sie wußte, daß der größte Teil ihrer Energie, ihres weißen Lichts, jetzt auf das Baby gerichtet war, nicht auf Zenia, nicht einmal auf Billy. Das Baby reagierte, sie konnte es spüren; in ihrem Inneren lauschte es, war es aufmerksam, absorbierte es das Licht wie eine Blüte.
Sie hoffte, daß die beiden anderen sich nicht vernachlässigt fühlten, aber sie konnte es nun einmal nicht ändern. Sie hatte nur ein bestimmtes Maß an Energie und zunehmend weniger davon übrig. Sie schien sich zu einer rücksichtsloseren Person zu entwickeln, einer härteren. Sie konnte die Grimmigkeit ihrer Großmutter jetzt stärker in ihren Händen spüren. Das Baby in ihr war eine neue Karen, noch ungeboren, und wenn Charis über sie wachte, würde sie eine bessere Chance haben. Sie würde, dieses Mal, bei der richtigen Mutter zur Welt kommen.
Im Geiste verbrachte sie ihre Zeit damit, das kleine Zimmer einzurichten, das Kinderzimmer. Sie würde es weiß streichen, später, wenn sie das Geld dafür hatte, wenn Zenia weg war. Im Sommer, wenn es heiß war. Billy konnte hinten, neben dem Hühnerhaus, eine Sauna bauen. Dann konnten sie im nächsten Winter in ihrer Sauna sitzen und sich richtig aufwärmen und hinausgehen und sich im Schnee wälzen. Das wäre eine gute Möglichkeit, den Schnee zu nutzen; besser als drinnen zu sitzen und sich darüber zu
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