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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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beklagen, so wie Zenia es tat. Und Billy auch.
     
    Im April, als der Schnee geschmolzen war und die Spitzen von Charis’ drei Narzissenzwiebeln aus der braunen Erde hervorlugten und die Hühner wieder draußen waren und in der Erde herumscharrten, erzählte sie Billy und Zenia von dem Baby. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Bald würde man es sehen; außerdem würde es bald Veränderungen geben müssen. Sie würde die Yoga-Kurse nicht mehr machen können, also würde das Geld woanders herkommen müssen. Billy würde sich einen Job besorgen müssen. Er hatte zwar keine richtigen Papiere, aber es waren trotzdem Jobs zu haben, einige seiner kriegsdienstflüchtigen Freunde hatten auch welche. Billy würde seinen Hintern hochkriegen müssen. Früher, vor dem Baby, hätte Charis niemals so gedacht, aber jetzt tat sie es.
    Und Zenia würde endlich gehen müssen. Charis war ihr eine Lehrerin gewesen, aber wenn Zenia keinen Nutzen aus dem ziehen wollte, was Charis ihr gegeben hatte, war das ihr Problem.
    Genug ist genug, sagte die Stimme ihrer Großmutter in ihrem Kopf. Den ersten Schritt zuerst. Blut ist dicker als Wasser.
     
    Sie sagt es ihnen nacheinander, Zenia zuerst. Sie essen zu Abend – Bohnen aus der Dose, tiefgekühlte Erbsen. Charis achtet in letzter Zeit nicht mehr so sorgfältig auf organische Ernährung; irgendwie fehlt ihr die Zeit. Billy ist in der Stadt, schon wieder.
    »Ich bekomm ein Baby«, platzt Charis heraus, als sie bei den Pfirsichen aus der Dose angelangt sind.
    Zenia ist nicht verletzt, nicht so, wie Charis es befürchtet hat. Noch äußert sie wehmütige Glückwünsche oder umarmt sie warm von Frau zu Frau oder tätschelt ihr die Hand. Statt dessen ist sie abfällig. »Na«, sagt sie, »da hast du dir ja was Schönes eingebrockt.«
    »Wie meinst du das?« fragt Charis.
    »Wie kommst du darauf, daß Billy ein Kind haben will?« sagt Zenia.
    Charis bleibt die Luft weg. Sie erkennt, daß sie von einer ganz bestimmten Annahme ausgegangen ist: daß nämlich alle anderen sich genauso über dieses Baby freuen werden wie sie selbst. Sie erkennt auch, daß sie Billy nicht wirklich in Betracht gezogen hat. Sie hat zwar einen Versuch gemacht, sich vorzustellen, wie es wäre, ein Mann zu sein, Billy zu sein, und ein Baby zu bekommen, aber sie konnte es nicht. Danach hat sie nicht mehr versucht, seine Reaktion zu erahnen.
    »Natürlich will er«, sagt sie, bemüht, überzeugt zu klingen.
    »Du hast es ihm noch nicht gesagt, nicht wahr«, sagt Zenia. Es ist keine Frage.
    »Woher weißt du das?« sagt Charis. Ja, woher weiß sie das? Und wieso streiten sie sich eigentlich?
    »Warte, bis er es erfährt«, sagt Zenia finster. »Dieses Haus wird mit einem schreienden Gör drin eine verdammte Ecke kleiner sein. Du hättest wenigstens warten können, bis ich tot bin.«
    Charis ist bestürzt über ihre Brutalität und ihren Egoismus; bestürzt und zornig. Aber was aus ihrem Mund kommt, ähnelt einer Beschwichtigung. »Es ist nun einmal nicht mehr zu ändern«, sagt sie.
    »Natürlich ist es das«, sagt Zenia wegwerfend. »Du könntest es abtreiben lassen.«
    Charis steht auf. »Ich will aber nicht«, sagt sie. Sie ist den Tränen nahe, und als sie nach oben geht – was sie auf der Stelle tut, ohne den Abwasch zu machen, was sonst nie vorkommt –, weint sie tatsächlich. Sie weint in ihren Schlafsack, verletzt und verwirrt. Irgend etwas läuft schief, und sie weiß nicht einmal genau, was es ist.
    Als Billy nach Hause kommt, liegt sie immer noch auf dem Schlafsack, ohne Licht, immer noch angezogen.
    »He, was ist denn los?« sagt er. »Was ist passiert?« Er küßt ihr Gesicht.
    Charis richtet sich auf und schlingt die Arme um ihn. »Hast du es denn noch nicht gemerkt?« sagt sie kläglich.
    »Was soll ich gemerkt haben?« sagt Billy.
    »Daß ich schwanger bin«, sagt Charis. »Wir bekommen ein Baby!« Es klingt wie ein Vorwurf; aber so hat sie es nicht gemeint. Sie will, daß er mit ihr feiert.
    »O Scheiße«, sagt Billy und wird in ihren Armen ganz schlaff. »O mein Gott. Wann?«
    »Im August«, sagt Charis und wartet darauf, daß er sich freut. Aber er freut sich nicht. Statt dessen tut er so, als wäre das hier eine große Katastrophe; ein Tod, keine Geburt. »O Scheiße«, sagt er noch einmal. »Und was jetzt?«
     
    Mitten in der Nacht steht Charis draußen, im Garten. Sie ist schlafgewandelt. Sie hat ihr Nachthemd an, ihre Füße sind nackt; Erde und vermoderte Blätter zerkrümeln unter ihren Zehen. Sie

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