Die Räuberbraut
kann ein Stinktier riechen, weit weg, wie die, die überfahren auf der Autobahn liegen; aber wie kann es hier ein Stinktier geben? Das hier ist die Insel. Vielleicht können sie schwimmen?
Jetzt ist sie ganz wach. In ihrer Hand fühlt sie den Druck einer anderen Hand: es ist ihre Großmutter, die versucht, ihr etwas zu sagen, zu ihr durchzudringen. Sie will sie warnen.
»Was?« sagt sie laut. »Was ist es?«
Jetzt spürt sie, daß noch jemand im Garten ist, eine dunkle Gestalt, die neben dem Küchenfenster an der Wand lehnt. Sie sieht ein leises Glühen. Was sie gerochen hat, war kein Stinktier, es war Rauch.
»Zenia, bist du das?« sagt sie.
»Ich konnte nicht schlafen«, sagt Zenia. »Und? Wie hat Big Daddy es aufgenommen?«
»Zenia, du sollst doch nicht rauchen«, sagt Charis. Sie hat vergessen, daß sie böse auf Zenia ist. »Es ist schlecht für deine Zellen.«
»Scheiß auf meine Zellen«, sagt Zenia. »Sie scheißen ja auch auf mich. Warum soll ich nicht ein bißchen Spaß haben, solange ich noch kann.« Ihre Stimme kommt aus der Dunkelheit, träge, zynisch. »Außerdem muß ich dir sagen, daß dein Samaritergetue mir verteufelt auf die Nerven geht. Und du selbst wärst bedeutend glücklicher, wenn du dich um deinen eigenen Dreck kümmern würdest.«
»Ich hab doch nur versucht, dir zu helfen«, klagt Charis.
»Tu mir einen Gefallen«, sagt Zenia. »Hilf jemand anderem.«
Charis versteht das alles nicht. Wieso wurde sie hierher geführt, um sich das anzuhören? Sie dreht sich um und geht ins Haus und tastet sich die Treppe hinauf. Sie macht das Licht nicht an.
Am nächsten Tag nimmt Billy die frühe Fähre in die Stadt. Charis arbeitet fieberhaft in ihrem Garten, gräbt den Frühlingskompost ein, versucht, alle Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Zenia bleibt den ganzen Tag im Bett.
Als Billy nach Einbruch der Dunkelheit zurückkommt, ist er betrunken. Er war auch früher schon betrunken, aber nie so sehr. Charis ist in der Küche und wäscht das Geschirr ab, das seit mehreren Tagen liegengeblieben ist. Sie fühlt sich schwerfällig, blockiert; in ihrem Kopf ist etwas, was einfach nicht deutlicher werden will. Egal wie angestrengt sie hinsieht, sie kann nicht hinter die Oberfläche der Dinge sehen. Sie ist blockiert, ausgeschlossen; sogar der Garten wollte sie heute nicht einlassen. Die Erde hat ihren Glanz verloren, sie ist nur noch eine Fläche Dreck, die Hühner sind mißmutig und struppig wie alte Staubwedel.
Als Billy hereinkommt, dreht sie sich um, um ihn anzusehen, sagt aber nichts. Dann wendet sie sich wieder von ihm ab, wieder dem Geschirr zu.
Sie hört ihn gegen den Tisch stoßen; ein Stuhl kippt um. Dann sind seine Hände auf ihren Schultern. Er dreht sie um. Sie hofft, daß er sie küssen wird, ihr sagen wird, daß er seine Meinung geändert hat, daß alles wundervoll ist, aber statt dessen fängt er an, sie zu schütteln. Vor und zurück, langsam. »Du... bist... so... verdammt... blöd«, sagt er im Rhythmus des Schüttelns. »Du bist so verdammt dumm!« Seine Stimme klingt fast zärtlich.
»Billy, tu das nicht«, sagt sie.
»Wieso nicht?« sagt er. »Wieso zum Teufel nicht? Ich kann tun, was ich will. Du bist ja sowieso zu blöd, um was zu merken.« Er löst eine Hand von ihrer Schulter und schlägt ihr ins Gesicht. »Wach endlich auf!« Er schlägt sie noch einmal, fester.
»Billy, hör auf!« sagt sie und versucht, bestimmt und trotzdem sanft zu klingen, versucht, nicht zu weinen.
»Niemand... befiehlt mir... was ich... tun soll.« Er macht einen Schritt zurück, reißt ein Bein hoch, rammt ihr das Knie in den Bauch. Er ist zu betrunken, um richtig zielen zu können, aber es tut weh.
»Du bringst es noch um!« Sie schreit jetzt. »Du bringst unser Baby um!«
Billy legt den Kopf auf ihre Schulter und fängt an zu weinen, heisere, erstickte Schluchzer, die sich anhören, als würden sie aus ihm herausgerissen. »Ich hab’s dir gesagt«, sagt er. »Ich hab’s dir gesagt, aber du wolltest ja nicht hören.«
»Was hast du mir gesagt?« sagt sie, während sie seine gelben Haare streichelt.
»Es gibt keine Narbe«, sagt er. »Da ist nirgends eine Narbe.«
Charis versteht nicht, was er meint. »Komm jetzt«, sagt sie. »Gehen wir ins Bett.« Das tun sie, und sie wiegt ihn in ihren Armen. Und dann schlafen sie ein.
Am nächsten Morgen steht Charis auf, um die Hühner zu füttern, so wie sie es immer tut. Billy ist wach: er bleibt warm eingekuschelt unter dem Schlafsack
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