Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
Vom Netzwerk:
jedenfalls hat das die Innenarchitektin gesagt. Roz hat keine Ahnung. Sie wünschte, Boyce wäre hier; er würde ihr einen Drink mixen. Nicht einmal mixen: einschenken. Einen simplen Single Malt pur, das ist es, was sie jetzt gerne hätte, aber sie ist zu müde, um ihn sich selbst zu holen. »Was seht ihr euch denn an?« fragt sie ihre schönen Kinder.
    »Mom, niemand sieht sich heutzutage noch was im Fernsehen an« , sagt Paula.
    »Wir suchen nach Werbung für Haarshampoos«, sagt Erin. »Wir wollen unsere schorfigen Schuppen loswerden.«
    Paula zieht sich eine Haarsträhne über ein Auge, wie ein Fotomodell. »Leiden Sie an... schorfigen Schuppen an den Schamhaaren?« intoniert sie mit gekünstelter Reklamestimme. Die beiden scheinen dies zum Schreien komisch zu finden. Aber gleichzeitig mustern sie sie, mit kleinen, flatternden Seitenblicken, halten Ausschau nach Anzeichen einer Krise.
    »Wo ist euer Bruder?« sagt Roz müde.
    »Ich bin dran«, sagt Erin und schnappt sich die Fernbedienung.
    »Aus«, sagt Paula. »Glaub ich.«
    »Auf Planet X«, sagt Erin.
    »Zum Tanzen und Romanzen«, sagen sie gleichzeitig und kichern.
    Wenn sie nur einmal stillsitzen könnten, sich einen netten Film ausleihen würden, irgendwas mit Duetten darin, könnte Roz Popcorn machen, geschmolzene Butter darüber gießen, in heimeliger familiärer Gemeinsamkeit bei ihnen sitzen. Wie ehedem. Mary Poppins war ihr Lieblingsfilm, früher einmal; in den Tagen der Flanellnachthemden. Jetzt haben sie den Musikkanal erwischt, und ein Mann in einem zerrissenen Unterhemd hüpft auf und ab und schwingt seine mickrigen Hüften und streckt die Zunge auf eine Weise heraus, die er anscheinend für sexy hält, aber wenn man Roz fragt, sieht er aus wie Anschauungsmaterial für eine Mundkrankheit, und Roz hat nicht die Nerven dafür, obwohl der Ton abgeschaltet ist, und sie steht auf und geht auf Strümpfen nach oben und zieht ihren Morgenmantel an und wandert hinunter in die Küche, wo sie im Kühlschrank einen halbgegessenen Nanaimo-Riegel findet. Sie legt ihn auf einen Teller – sie wird nicht in die Barbarei zurückfallen, sie wird eine Gabel benutzen – und fügt ein paar einzeln verpackte Käseecken mit der lachenden Kuh dazu, die sie für die Lunchpakete der Kinder gekauft hat, und ein paar Tomek’s Pickles, ein altes, polnisches Rezept, trinken Sie den Saft, wenn Sie einen Kater haben. Es hat keinen Zweck, die Kinder zu fragen, ob sie mit ihr essen wollen. Sie würden sowieso nur sagen, daß sie schon gegessen haben, egal ob es stimmt oder nicht. Derart versorgt, wandert Roz durch das Haus, von Zimmer zu Zimmer, mümmelt Pickles und revidiert im Kopf die Farbgebung der Wände. Pionierblau, denkt sie. Das ist es, was ich brauche. Ich muß zurück zu meinen Wurzeln. Ihren kümmerlichen und zwielichtigen Wurzeln, ihren ineinander verschlungenen Wurzeln. Denen von Mitch natürlich unterlegen, wie so viele andere ungreifbare Dinge. Mitch hatte Wurzeln an seinen Wurzeln.
    Irgendwann später stellt sie fest, daß sie einen leeren Teller in der Hand hält, und wundert sich, wieso nichts mehr darauf ist. Sie steht im Keller, im alten Teil des Kellers, dem Teil, der nie ausgebaut wurde. Im Abstellkeller mit dem Betonfußboden und den Spinnweben. Die Überreste von Mitchs Weinsammlung liegen drüben in der einen Ecke: nicht seine besten Weine, die hat er mitgenommen, als er aus dem Nest ausflog. Wahrscheinlich hat er sie mit Zenia getrunken. Roz hat keine einzige der restlichen Flaschen angerührt, sie hätte es nicht ertragen können. Noch kann sie es ertragen, sie wegzuwerfen.
    Einige von Mitchs Büchern sind auch hier unten; seine alten juristischen Lehrbücher, seine Joseph Conrads, seine Yacht-Bücher. Armes Baby, er hat seine Boote so geliebt. Er hielt sich im Grunde seines Herzens für einen Seemann, obwohl jedesmal, wenn sie segeln gingen, irgend etwas den Geist aufgab. Ein Teil des Motors, oder irgendwas aus Holz, Roz hatte keine Ahnung, sie konnte sich nicht einmal daran gewöhnen, Bug und Heck statt vorne und hinten zu sagen. Sie sieht sich auf einem dieser Boote stehen, es muß die Rosalind gewesen sein, das erste Boot, nach ihr benannt, und ihre Nase schälte sich, weil sie zuviel Sonne abbekommen hatte, und auf ihren Schultern sprossen die Sommersprossen, und Mitchs Mütze saß schief auf ihrem Kopf, und in der Hand hielt sie irgendeinen Schraubenschlüssel – Der hier ; Liebling? –, während sie auf eine felsige Küste zutrieben – wo?

Weitere Kostenlose Bücher