Die Räuberbraut
Exorzismus. Aber sie konnte Billy niemals loswerden, egal was sie versuchte, weil seine Geschichte nicht abgeschlossen war; und mit Billy kam Zenia. Die beiden waren zusammengeschweißt.
Sie muß Zenia sehen, weil sie das Ende kennen muß. Sie muß sie, endlich, loswerden. Sie wird Tony und Roz nichts von diesem Bedürfnis erzählen, weil sie versuchen würden, sie davon abzuhalten. Tony würde sagen: Halt dich aus der Schußlinie raus. Roz würde sagen: Warum willst du deinen Kopf unbedingt in den Mixer stecken?
Aber Charis muß Zenia sehen, und sehr bald wird sie das tun, jetzt, wo sie weiß, wo Zenia ist. Sie wird einfach ins Arnold Garden Hotel marschieren und mit dem Aufzug nach oben fahren und an die Tür klopfen. Sie fühlt sich fast schon stark genug. Und August ist jetzt erwachsen. Wie immer die Wahrheit lauten mag, die Wahrheit über Billy, August ist alt genug, um nicht mehr zu verletzbar zu sein.
Also wird Charis Zenia zur Rede stellen, und dieses Mal wird sie sich nicht einschüchtern lassen, sie wird nicht versöhnlich sein, sie wird nicht zurückweichen; sie wird ihre Stellung behaupten und Zurückschlagen. Zenia, die Hühnermörderin, die unschuldiges Blut trinkt. Zenia, die Billy für dreißig Silberlinge verkaufte. Zenia, die Blattlaus der Seele.
Sie nimmt die Bibel ihrer Großmutter aus dem Bücherregal und stellt sie auf ihren Eichentisch. Sie findet eine Nadel, schließt die Augen und wartet darauf, daß die Nadel nach unten gezogen wird.
2 Könige, 9, 35, liest sie. Da sie aber hingingen, sie zu begraben, fanden sie nichts von ihr denn den Schädel und die Füße und die flachen Hände.
Es geht um Isebel, die vom Turm geworfen wurde, Isebel, die von den Hunden gefressen wurde. Schon wieder, denkt Charis. Hinter ihren Augen fällt eine dunkle Gestalt.
Die Räuberbraut
39
Roz geht in ihrem Büro auf und ab, hin und her, raucht, ißt die muffigen Käsestangen, die sie letzte Woche in ihrem Schreibtisch gehortet und dann vergessen hat, und wartet. Rauchen, essen, warten, die Geschichte ihres Lebens. Worauf wartet sie? Sie kann noch nicht mit Ergebnissen rechnen, dafür ist es viel zu früh. Helen, die ungarische Schnüfflerin, ist zwar gut, aber es wird trotzdem Tage dauern, bis sie Zenia aufgestöbert hat, weil Zenia sich garantiert nicht an einem offensichtlichen Ort versteckt, sollte man annehmen. Aber vielleicht versteckt sie sich auch gar nicht. Vielleicht ist sie einfach da, in voller Sicht. Da ist Roz, krabbelt auf allen vieren herum und sieht unter den Betten nach, und dabei steht Zenia die ganze Zeit mitten im Zimmer. Man bekommt immer das , was man sieht, sagt sie zu Roz. Bloß hast du es nicht gesehen. Sie liebt es, einem unangenehme Dinge immer wieder aufs Brot zu schmieren.
Am Fenster bleibt Roz stehen. Ihr Büro ist selbstverständlich ein Eckbüro, und selbstverständlich liegt es im obersten Stock. Torontoer Wirtschaftsbosse haben ein Recht auf Eckbüros im obersten Stock, selbst kleine Fische von Wirtschaftsbossen wie Roz. Es ist eine Statusfrage: am Totempfahl dieser Stadt gibt es nichts, was höher wäre als ein Zimmer mit Aussicht, selbst wenn die Aussicht zum größten Teil aus stillstehenden Kränen und Baugerüsten und der Autobahn mit ihren ameisengroßen Autos und dem Spaghetti-Gewirr der Eisenbahngeleise besteht. Aber jeder, der Roz’ Büro betritt, weiß sofort, was Sache ist. Oha! Sieht aus , als wär hier ein bißchen Respekt angesagt, räusper, räusper. Herrscherin über alles, was sie überblickt.
Was für eine Scheiße. Kein Mensch ist heutzutage noch Herrscher über irgendwas. Alles ist außer Kontrolle.
Von hier oben kann Roz den See sehen, und den zukünftigen Yachthafen, der aus termitendurchlöchertem Bauschutt gebaut wird, und die Insel, auf der Charis ihr winziges, halb zerfallenes Mäusenest von einem Haus hat; und, von ihrem anderen Fenster, den CN-Tower – den höchsten Blitzableiter der Welt – mit dem Sky-Dome direkt daneben, Nase und Auge, Möhre und Zwiebel, Phallus und Ovum, sollte sich doch jeder seine eigenen Symbolismen aussuchen, und was ein Glück, daß Roz nicht in das Ding investiert hat, wie man hört, hat es die Finanziers das eine oder andere Hemd gekostet. Und wenn sie sich dahin stellt, wo die beiden Fenster zusammenstoßen, und nach Norden guckt, sieht sie die Universität mit ihren Bäumen, golden um diese Jahreszeit, und dahinter versteckt, Tonys gotische Absurdität aus rotem Backstein. Aber genau das Richtige für
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