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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Tony, mit dem kleinen Türmchen. Sie kann sich da oben verkriechen und so tun, als wäre sie unangreifbar.
    Roz fragt sich, was die beiden anderen in diesem Augenblick tun. Laufen sie genau wie sie selbst in irgendeinem Zimmer auf und ab, sind sie nervös? Aus der Luft betrachtet würden sie ein Dreieck bilden, mit Roz als Scheitelpunkt. Sie könnten sich mit Taschenlampen Signale zublitzen, wie Nancy Drew, die Mädchendetektivin. Aber natürlich können sie genausogut das Telefon benutzen.
    Roz greift danach, wählt, hängt wieder ein. Was können Tony oder Charis ihr schon sagen? Sie wissen auch nicht mehr über Zenia als sie selbst. Eher weniger.
    Roz’ Hände sind feucht, ihre Achseln ebenfalls. Ihr Körper riecht nach rostigen Nägeln. Sind das Hitzewallungen, oder ist es nur die Rückkehr der alten Wut? Sie ist bloß eifersüchtig, sagen die Leute, als wäre Eifersucht ein Klacks. Aber das ist es nicht, es ist das Schlimmste, das schlimmste Gefühl, das es gibt – unlogisch und konfus und beschämend, und gleichzeitig selbstgerecht und konzentriert und hart wie Glas, wie der Blick durch ein Teleskop. Ein Gefühl totaler Konzentration, aber auch totaler Machtlosigkeit. Was der Grund dafür sein muß, daß deswegen so viele Morde begangen werden: Töten ist das Höchstmaß an Kontrolle.
    Roz stellt sich Zenia tot vor. Stellt sich ihren Körper tot vor. Tot und in Auflösung begriffen.
    Nicht sehr befriedigend, denn wenn Zenia tot wäre, wüßte sie es nicht. Da war es schon besser, sie sich häßlich vorzustellen. Roz nimmt Zenias Gesicht und zerrt daran, als wär es aus Kitt. Ein paar hübsche Hängebacken, ein nettes Doppelkinn, ein permanent mürrischer Ausdruck. Ein paar schwarze Zähne, wie auf den Bildern, die Kinder von Hexen malen. Besser.
     
    Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?
    Kommt drauf an, sagt der Spiegel. Schönheit vergeht, Tugend besteht.
    Wie recht du hast, sagt Roz. Ich würd trotzdem eine Scheibe davon nehmen. Und jetzt beantworte mir gefälligst meine Frage.
    Ich finde, du bist ein wundervoller Mensch, sagt der Spiegel. Du bist warmherzig und großzügig. Du solltest überhaupt kein Problem haben, einen anderen Mann zu finden.
    Ich will keinen anderen Mann, sagt Roz und versucht, nicht zu weinen. Ich will Mitch.
    Tut mir leid, sagt der Spiegel. Nicht zu machen.
    Es endet immer auf diese Weise.
     
    Roz putzt sich die Nase, sucht ihre Jacke und ihre Tasche zusammen und schließt ihr Büro ab. Boyce arbeitet noch, gesegnet seien seine peniblen kleinen Argyle-Socken: unter seiner Tür brennt noch Licht. Sie überlegt, ob sie klopfen und ihn zu einem Drink einladen soll, den abzulehnen er für politisch unklug halten würde, und ihn in die Bar des King Eddy schleppen und zu Tode langweilen soll.
    Lieber nicht. Sie wird nach Hause gehen und statt dessen ihre Kinder langweilen. Sie hat eine Vision, in der sie nur mit ihrem orangefarbenen Morgenmantel bekleidet durch die Bay Street rennt und mit Geldbündeln um sich wirft. Sich all ihrer weltlichen Güter entledigt. Sich von all ihren dreckigen Profiten trennt. Anschließend könnte sie einer Sekte oder etwas Ähnlichem beitreten. Ein Mönch werden. Eine Mönchin. Eine Mönchette. Von getrockneten Bohnen leben. Alle noch mehr in Verlegenheit bringen, als sie es so schon tut. Aber gäbe es dort elektrische Zahnbürsten? Mußte man, um heilig zu sein, Zahnbelag in Kauf nehmen?
    Die Zwillinge sitzen im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Das Wohnzimmer ist im Nouveau-Pueblo-Stil gehalten – Sand, Salbei, Ocker, und dazu ein echter Kaktus, der im Fenster vor sich hin mäkelt wie ein Nachtschattengewächs und langsam, aber sicher an Überwässerung zugrunde geht. Roz muß unbedingt mit Maria reden. Wann immer Maria eine Pflanze sieht, gibt sie ihr Wasser. Oder sie staubt sie ab. Einmal hat Roz sie dabei ertappt, wie sie den Kaktus mit dem Staubsauger bearbeitete, was ihm sicher nicht gut bekommen ist.
    »Hi Mom«, sagt Erin.
    »Hi Mom«, sagt Paula. Keine der beiden sieht sie an; sie schalten von einem Sender auf den anderen, reißen sich gegenseitig die Fernbedienung aus der Hand. »Albern!« ruft Erin. »So-o-oo idiotisch! Sieh dir diesen Widerling an.«
    »Gehirnwichser!« sagt Paula. » C’estcon, ga ! He, ich bin dran!«
    »Hi Kids«, sagt Roz. Sie schleudert ihre engen Schuhe von den Füßen und plumpst in einen Sessel, einen dumpfroten Sessel von der Farbe der Felsen in New Mexico kurz nach Sonnenuntergang,

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