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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Nonnen in ihrem schwarzweißen Habit brachten ihr Lesen und Schreiben und Singen und Beten bei, mit weißer Kreide auf schwarzer Tafel und einem Lineal auf die Knöchel, wenn man über die Stränge schlug.
    Katholischsein war das Beste, weil man in den Himmel kam, wenn man tot war. Roz’ Mutter war auch katholisch, ging aber nicht in die Kirche. Sie brachte Roz hin und schubste sie zur Tür, ging aber selbst nicht hinein. Der Ausdruck, der dabei auf ihrem Gesicht lag, sagte Roz, daß es besser war, nicht nach dem Grund zu fragen.
    Einige der anderen Kinder in der Straße waren Protestanten oder Juden; aber egal was man war, die anderen jagten einen auf dem Heimweg von der Schule, obwohl die Jungs manchmal zusammen Baseball spielten. Jungs jagten einen auch, weil man ein Mädchen war: dann spielte die Religion keine Rolle. Außerdem gab es ein paar chinesische Kinder, und die Flüchtlinge.
    Die Kinder der Flüchtlinge hatten es am schwersten. In Roz’ Schule gab es ein Flüchtlingsmädchen. Sie konnte fast kein Englisch, und die anderen Mädchen tuschelten über sie, auch wenn sie sie sehen konnte, und sagten Gemeinheiten zu ihr, und wenn sie dann »Was?« sagte, lachten alle.
    Die Flüchtlinge waren Vertriebene und kamen aus dem Osten, von der anderen Seite des Ozeans; was sie vertrieben hatte, war der Krieg. Roz’ Mutter sagte, sie sollten froh sein, daß sie hier sein durften. Die erwachsenen Flüchtlinge hatten komische Kleider an, trübselige und schäbige Kleider, und einen komischen Akzent, und einen ausweichenden, gebrochenen Ausdruck in den Augen. Einen verwirrten Ausdruck, als wüßten sie nicht, wo sie waren und was vor sich ging. Die Kinder auf der Straße schrien ihnen »Flüchtling! Flüchtling! Geh doch dahin zurück, wo du hergekommen bist« hinterher. Ein paar der älteren Jungs schrien auch »Hundekötel!«
    Die Flüchtlinge verstanden sie zwar nicht, wußten aber trotzdem, daß sie beschimpft wurden. Sie gingen noch schneller und zogen den Kopf noch tiefer in den Mantelkragen; oder sie drehten sich um und funkelten die Kinder böse an. Roz mischte sich unter die schreienden Horden, wenn sie nicht in der Nähe ihres Hauses war. Ihre Mutter wollte nicht, daß sie auf der Straße herumrannte wie ein Gassenkind und wie ein wildes Tier kreischte. Hinterher schämte sich Roz, weil sie den Flüchtlingen hinterhergeschrien hatte; aber es war schwer, es nicht zu tun, wenn alle es taten.
    Manchmal wurde Roz selbst als Flüchtling beschimpft, wegen ihrer dunklen Haut. Aber es war nur ein Schimpfwort, so wie »Dummkopf«, oder – viel schlimmer – »Drecksau«. Es bedeutete nicht, daß man es tatsächlich war. Wenn Roz diese Kinder zu fassen bekam, und wenn sie nicht zu viel größer waren als sie selbst, machte sie die Brennessel mit ihnen. Das bedeutete: zwei Hände um den Unterarm legen und drehen, wie wenn man Wäsche auswrang. Es brannte, und es hinterließ einen roten Fleck. Oder sie trat sie ans Schienbein, oder sie schrie zurück. Sie war jähzornig, sagten die Nonnen.
    Aber obwohl Roz kein Flüchtling war, war da was. Sie hatte was, das sie von den anderen unterschied, eine unsichtbare Barriere, schwach und kaum merklich, wie die Wasseroberfläche, aber trotzdem stark. Roz wußte nicht, was es war, aber sie konnte es fühlen. Sie war nicht wie die anderen, sie war zwar unter ihnen, aber sie gehörte nicht zu ihnen. Deshalb drängelte und schubste sie und versuchte, in ihre Reihen einzudringen.
     
    Zur Schule trug Roz eine blaue Jacke und eine weiße Bluse, vorne auf der Jacke war ein Wappen mit einer Taube darauf. Die Taube war der Heilige Geist. In der Kapelle gab es ein Bild von ihm, wie er mit ausgebreiteten Flügeln vom Himmel herabschwebte, über dem Kopf der Jungfrau Maria, während die Jungfrau Maria die Augen auf eine Weise verdrehte, von der Roz’ Mutter gesagt hatte, Roz dürfe das nie tun, sie könnten sonst so stehenbleiben; mit dem Schielen war es genau dasselbe. Es gab noch ein zweites Bild, auf dem die Jünger und die Apostel an Pfingsten den Heiligen Geist empfingen; dieses Mal war die Taube von rotem Feuer umgeben.
    Die Taube machte, daß die Jungfrau Maria schwanger wurde, aber alle wußten, daß Männer keine Babys bekommen konnten, und deshalb wurden die Jünger und die Apostel nicht schwanger, sondern sprachen in Zungen und prophezeiten. Roz wußte nicht, was in Zungen reden bedeutete, und Schwester Conception wußte es auch nicht, denn als Roz sie fragte, sagte Schwester

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