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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Handspiegel mit Rosen darauf, ihre Initialen waren hinten eingraviert: G. M. Ihr Vorname war Gladys. Mr. Morley hatte ihr diesen Spiegel zu ihrem ersten Hochzeitstag geschenkt. »Nicht, daß er auch nur ein Wort gemeint hätte«, sagte Mrs. Morley, während sie sich die Augenbrauen zupfte. Sie tat dies mit einer Pinzette, mit der sie jedes einzelne Augenbrauenhärchen packte und mit Gewalt ausriß. Sie mußte dabei niesen. Sie zupfte fast alle Härchen aus und ließ nur eine dünne Linie in der perfekt geschwungenen Form einer Neumondsichel übrig. Es verlieh ihr einen überraschten Ausdruck, oder einen ungläubigen. Roz beäugte ihre eigenen Augenbrauen im Spiegel. Sie waren zu dunkel und zu buschig, entschied sie, aber sie war noch zu jung, um mit dem Auszupfen anfangen zu können.
    Mrs. Morley trug immer noch ihren Ehering, und ihren Verlobungsring dazu, obwohl sie sie gelegentlich abnahm und in ihr Schmuckkästchen tat. »Eigentlich sollte ich sie verkaufen«, sagte sie, »aber ich weiß nicht. Manchmal fühl ich mich immer noch mit ihm verheiratet, trotz allem, verstehst du, was ich meine? Man braucht einfach was, woran man sich festhalten kann.« An manchen Wochenenden hatte sie Verabredungen, mit Männern, die an der Haustür klingelten und von Roz’ Mutter widerstrebend eingelassen wurden und dann in der Diele stehenbleiben und auf Mrs. Morley warten mußten, weil es nichts gab, wo sie sonst hätten hingehen können.
    Roz’ Mutter hätte nicht im Traum daran gedacht, sie aufzufordern, sich zu ihr in die Küche zu setzen. Sie mißbilligte diese Männer, so wie sie Mrs. Morley selbst mißbilligte; obwohl sie Roz manchmal erlaubte, mit ihr ins Kino zu gehen. Mrs. Morley bevorzugte Filme, in denen Frauen anderen Menschen zuliebe auf Dinge verzichteten, oder in denen sie erst geliebt und dann verlassen wurden. Sie verfolgte die Handlungen mit Hochgenuß, aß Popcorn und betupfte sich die Augen. »Ich bin ganz wild auf Filme, in denen man weinen muß«, sagte sie zu Roz. Roz verstand nicht, weshalb die Sachen in den Filmen so abliefen, wie sie es taten, und hätte lieber Robin Hood oder auch Abbott und Costello gesehen, aber ihre Mutter war der Meinung, daß ein Erwachsener dabei sein müßte. Dinge konnten in der flackernden, süßlich riechenden Dunkelheit eines Kinos passieren; Männer konnten die Situation ausnutzen. Dies war das eine Thema, bei dem Mrs. Morley und Roz’ Mutter einer Meinung waren: die Situationen, die Männer ausnutzen konnten.
    Roz sah sich Mrs. Morleys Schmuckkästchen an, wenn sie nicht da war, paßte aber gut auf, daß sie nichts in Unordnung brachte. Sie hatte ihre Freude daran, nicht nur, weil die Sachen hübsch waren – die meisten Stücke waren nicht echt, sondern nur Modeschmuck, Rheinkiesel und Glas –, sondern weil es aufregend war, das zu tun. Obwohl die Broschen und die Ohrringe, wenn Mrs. Morley nicht da war, ganz genauso aussahen, wie wenn sie da war, schienen sie in ihrer Abwesenheit anders zu sein – verlockender, geheimnisvoller. Roz sah auch in Mrs. Morleys Kleiderschrank: Mrs. Morley hatte viele Kleider in leuchtenden Farben, und hochhackige, dazu passende Schuhe. Wenn Roz sich ganz besonders mutig fühlte, schlüpfte sie sogar in diese Schuhe und stakste damit vor dem Spiegel in Mrs. Morleys Schranktür herum. Die, die ihr am besten gefielen, hatten vorne an den Zehen glitzernde Steine, die aussahen wie echte Diamanten. Roz hielt sie für das Höchste an Eleganz.
    Manchmal lag ein Häufchen schmutziger Unterwäsche in der Ecke neben dem Schrank, einfach nur dorthin geworfen, nicht einmal in einem Wäschebeutel: Büstenhalter, Strümpfe, Satinschlüpfer. Es waren die Sachen, die Mrs. Morley im Waschbecken im Badezimmer von Hand wusch und zum Trocknen über die Heizung in ihrem Zimmer hängte. Aber sie hätte sie trotzdem vom Boden aufheben sollen, so wie Roz es tun mußte. Natürlich war Mrs. Morley protestantisch, da konnte man nichts anderes erwarten. Roz’ Mutter hätte am liebsten nur Katholiken in ihrem Haus gehabt, nette, saubere, zuvorkommende katholische Damen wie Miss Hines, aber einem geschenkten Gaul schaute man nicht ins Maul, und in diesen Zeiten mußte man nehmen, was man bekommen konnte.
     
    Roz hatte ein rundes Gesicht und glatte, dunkle Haare mit Pony, und sie war groß für ihr Alter. Sie ging in die Erlöser-und-Heiliggeist-Schule, die früher einmal zwei Schulen gewesen war und jetzt einfach nur noch zwei Namen hatte, und die

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