Die Räuberbraut
Luft zu halten.
Nach der Probe sagte Schwester Cecilia, Roz hätte ihre Sache sehr gut gemacht. Roz hatte die einzige Sprechrolle im ganzen Stück, und von daher war es wichtig, die Sätze laut und deutlich zu sprechen, mit einer schönen, lauten Stimme. Sie mache das ausgezeichnet und würde der Schule zur Ehre gereichen. Roz war stolz, weil ihre laute Stimme sie ausnahmsweise einmal nicht in Schwierigkeiten brachte - wenn die Nonnen vor allen Leuten etwas zu ihr sagen, geht es für gewöhnlich um ihr rüpelhaftes Benehmen. Aber während alle ihre Kostüme auszogen, sagte Julia Warden: »Ich find es doof, einen Engel mit schwarzen Haaren zu haben.«
Roz sagte: »Sie sind nicht schwarz, sie sind braun«, und Julia Warden sagte: »Sie sind schwarz. Und außerdem bist du gar nicht richtig katholisch, hat meine Mum gesagt«, und Roz sagte, daß sie die Klappe halten soll, sonst stopft sie sie ihr, und Julia Warden sagte: »Wo ist denn überhaupt dein Vater? Meine Mum sagt, er ist ein Flüchtling.« Und Roz packte Julia Warden am Arm und machte die Brennessel mit ihr, und Julia Warden schrie. Schwester Cecilia kam angeraschelt und fragte, was das Gezeter sollte, und Julia Warden petzte, und Schwester Cecilia sagte zu Roz, das sei aber nicht der weihnachtliche Geist und daß sie keine Mädchen hauen solle, die kleiner seien als sie, und daß sie von Glück sagen könne, daß Schwester Conception nicht da sei, denn wenn sie da wäre, würde Roz den Riemen zu spüren bekommen. »Rosalind Greenwood, du lernst es aber auch nie«, sagte sie traurig.
Auf dem Heimweg von der Schule denkt Roz darüber nach, was sie morgen mit Julia Warden machen wird, um es ihr heimzuzahlen; bis zum letzten Block, wo die beiden protestantischen Jungen, die an der Ecke wohnen, sie sehen und über den Bürgersteig jagen und schreien: »Der Papst stinkt!« Als sie ihr Haus fast schon erreicht hat, erwischen die beiden sie und seifen ihr das Gesicht mit Schnee ein,und Roz tritt nach ihren Beinen. Sie lassen sie los und lachen und brüllen in gespieltem – oder echtem? – Schmerz: »Autsch, autsch, sie hat mich getreten!« Und Roz hebt ihre Bücher auf, die voller Schnee sind, und läuft den Rest des Weges, ohne zu weinen, noch nicht, und stürzt die Treppe zur Veranda hinauf. »Ihr dürft mein Grundstück nicht betreten!« schreit sie. Ein Schneeball zischt an ihr vorbei. Wenn Roz’ Mutter da wäre, würde sie die Jungen wegjagen. »Gesindel!« würde sie rufen, und sie würden die Beine in die Hand nehmen. Manchmal haut sie Roz eine runter, aber sie würde nie zulassen, daß jemand anderes Hand an sie legt. Außer die Nonnen, natürlich.
Roz klopft sich den Schnee ab – sie darf keinen Schnee ins Haus tragen – und geht hinein und durch den Flur in die Küche. Zwei Männer sitzen am Küchentisch. Sie haben Flüchtlings-Kleider an, keine schäbigen Kleider, keine abgetragenen Kleider, aber trotzdem Flüchtlings-Kleider, Roz erkennt es an ihrem Schnitt. Auf dem Tisch steht eine Flasche, der Roz sofort ansieht, daß sie Alkohol enthält – sie hat solche Flaschen auf dem Bürgersteig gesehen –, und vor jedem der Männer steht ein Glas. Roz’ Mutter ist nicht im Zimmer.
»Wo ist meine Mutter?« sagt sie.
»Sie ist einkaufen«, sagt einer der Männer. »Sie hat nichts zu essen im Haus.«
Der andere sagt: »Wir sind deine neuen Onkel. Onkel George, Onkel Joe.«
Roz sagt: »Ich hab keine Onkel«, und Onkel George sagt: »Jetzt hast du welche.« Dann lachen die beiden. Sie haben ein lautes Lachen, und komische Stimmen. Flüchtlings-Stimmen, aber mit noch etwas anderem, einem anderen Akzent. Etwas wie aus dem Kino.
»Sitz«, sagt Onkel George einladend, als wär das hier sein Haus, als wär Roz ein Hund. Roz weiß nicht, was sie von der Situation halten soll – noch nie waren zwei Männer in dieser Küche –, aber sie setzt sich trotzdem.
Onkel George ist der größere der beiden; er hat eine hohe Stirn und helle, wellige Haare, die nach hinten gekämmt sind. Roz kann seine Frisiercreme riechen, süß, wie im Theater. Er raucht eine braune Zigarette in einer schwarzen Spitze. »Ebenholz«, sagt er zu Roz. »Weißt du, was Ebenholz ist? Es ist ein Baum.«
»Das weiß sie selbst«, sagt Onkel Joe. »Sie ist ein kluges Mädchen.« Onkel Joe ist kleiner, mit gekrümmten Schultern und spindeldürren Fingern und dunklen, fast schwarzen Haaren und riesigen, dunklen Augen. Auf der einen Seite fehlt ihm ein Zahn. Er sieht Roz’ Blick und
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