Die Räuberbraut
Conception nur, sie solle nicht so frech sein.
Das Pfingstbild hing im langen Hauptflur der Schule mit seinem knarrenden Holzboden und seinem gottesfürchtigen Geruch, der sich aus rutschigem Bohnerwachs und Gipsstaub und Weihrauch aus der Kapelle zusammensetzte und bewirkte, daß sich jedesmal, wenn Roz ihn roch, ein kleiner Tümpel schuldbewußter Angst in ihrem Magen sammelte, weil Gott alles sehen konnte, was man tat und sogar dachte, und die meisten dieser Dinge ärgerten ihn. Er schien einen sehr großen Teil der Zeit verärgert zu sein, genau wie Schwester Conception.
Aber Gott war auch Jesus, der ans Kreuz genagelt wurde. Wer hatte ihn angenagelt? Römische Soldaten, die Rüstungen trugen. Da waren sie, drei von ihnen, und sie sahen brutal aus und machten Witze, während Maria in Blau und Maria Magdalena in Rot im Hintergrund weinten.
Aber eigentlich war es gar nicht die Schuld der römischen Soldaten, weil sie nur ihre Arbeit taten. Eigentlich war es die Schuld der Juden. Eines der Gebete, das sie in der Kapelle sprachen, handelte von der Bekehrung der Juden, was bedeutete, daß sie katholisch werden würden, damit ihnen dann vergeben werden konnte. Aber bis dahin war Gott immer noch böse auf sie, und sie würden auch weiterhin bestraft werden müssen. Sagte Schwester Conception.
Aber das war auch zu einfach, dachte Roz. Die Sache war noch komplizierter, weil Jesus es mit Absicht so eingerichtet hatte, daß er gekreuzigt wurde. Es war ein Opfer, und ein Opfer war, wenn man sein Leben hingab, um andere Leute zu retten. Roz wußte nicht so genau, wieso es ein so großer Gefallen für alle war, wenn man sich kreuzigen ließ, aber anscheinend war es das. Und wenn Jesus es mit Absicht gemacht hatte, wieso war es dann die Schuld der Juden?
Hatten sie ihm dann nicht einfach nur geholfen? Eine Frage von Roz, die von Schwester Conception ebenfalls nicht beantwortet wurde, aber Schwester Cecilia, die hübscher und im allgemeinen netter zu Roz war, versuchte sich daran: eine böse Tat blieb eine böse Tat, sagte sie, auch wenn etwas Gutes dabei herauskam. Es gab eine Menge böser Taten, bei denen etwas Gutes herauskam, weil Gott ein Mysterium war, was bedeutete, daß er Sachen einfach umdrehen konnte, aber die Menschen hatten keinen Einfluß darauf, die Menschen hatten nur Einfluß auf ihr eigenes Herz. Und das, was man im Herzen hatte, zählte.
Roz wußte, wie ein Herz aussah. Sie hatte schon viele Bilder von Herzen gesehen, größtenteils das Herz von Jesus, in seiner geöffneten Brust. Herzen waren überhaupt nicht wie Valentins-Herzen, sie waren mehr wie die Rinderherzen in der Metzgerei, bräunlich-rot und klumpig und gummiartig. Das Herz von Jesus glühte, weil es heilig war. Heilige Dinge glühten meistens.
Jede Sünde, die jemand beging, war wie ein weiterer Nagel, der ins Kreuz geschlagen wurde. Das sagten die Nonnen, vor allem zu Ostern. Roz machte sich aber weniger Gedanken um Jesus, von dem sie ja wußte, daß die Sache für ihn gut ausgehen würde, als um die beiden Räuber. Der eine von ihnen glaubte auf der Stelle, daß Jesus Gott war, deshalb durfte er im Himmel zur rechten Seite von Jesus sitzen. Aber was war mit dem anderen? Roz hegte eine heimliche Sympathie für den anderen Räuber. Er mußte genauso große Schmerzen gelitten haben wie Jesus und der erste Räuber, aber bei ihm war es kein Opfer, weil er es nicht gewollt hatte. Es war schlimmer, gekreuzigt zu werden, wenn man es gar nicht wollte. Und außerdem, was hatte er eigentlich gestohlen? Vielleicht nur eine Kleinigkeit. Es stand nirgends geschrieben.
Roz fand, daß auch er einen Platz im Himmel verdient hatte. Sie wußte einiges über die dortige Sitzordnung: Gott in der Mitte, Jesus rechts von ihm, der gute Räuber rechts von Jesus. Die rechte Hand war die rechte Hand, und man mußte immer sie nehmen, um das Kreuzzeichen zu schlagen, auch wenn man Linkshänder war. Aber wer saß auf der linken Seite Gottes? Irgend jemand mußte dort sitzen, denn Gott hatte nicht nur eine rechte, sondern auch eine linke Seite, und nichts an Gott konnte schlecht sein, weil Gott vollkommen war, und Roz konnte sich nicht vorstellen, daß die linke Seite einfach leer bleiben sollte. Also konnte doch der böse Räuber dort sitzen; er konnte mit den anderen am Festmahl teilnehmen. (Und wo war die Jungfrau Maria bei all dem? War es ein langer Tisch, vielleicht mit Gott an dem einen und der Jungfrau Maria an dem anderen Kopfende? Roz war klug genug, nicht
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