Die Räuberbraut
Schichten von Sprache zu, klebt sie sich auf wie Plakate auf einen Zaun, eins über das andere, deckt die kahlen Bretter zu. Und was die Kleider, die Accessoires angeht, das läßt sich lernen.
Roz beendete die High-School, die nicht gerade ein Ort der Glückseligkeit war, und das ist die Untertreibung des Jahres. Sehr viel später – bei einem Klassentreffen, dem sie nicht widerstehen konnte, weil sie ein tolles Kleid dafür hatte und angeben wollte – fand sie heraus, daß die meisten der anderen Mädchen sich genauso elend gefühlt hatten wie sie selbst. Aber selbst da wollten sie Roz ihre Verzweiflung nicht zugestehen. »Du warst doch immer so fröhlich«, sagten sie.
Nach der High-School ging Roz an die Uni. Sie studierte Kunst und Architektur, Fächer, die ihr Vater für nicht besonders nützlich hielt, ihr aber später im Renovierungsgeschäft zugute kamen; man wußte eben nie, welcher Krimskrams aus der Vergangenheit später einmal recycelt werden konnte. Sie bestand darauf, in einem Wohnheim zu wohnen, obwohl sie, wie ihre Mutter betonte, ein durchaus ehrbares Zuhause hatte. Aber sie wollte raus, sie wollte unter ihrem Daumen raus, und sie brachte ihren Vater dazu, das Geld dafür springen zu lassen, indem sie drohte, andernfalls nach Europa abzuhauen, oder an eine andere Universität zu gehen, die Millionen Meilen entfernt war. Sie entschied sich für die McClung Hall, weil sie nicht konfessionell gebunden war. Inzwischen hatte sie ihr exzessives Jüdischsein ebenso über Bord geworfen wie ihren exzessiven Katholizismus. Dachte sie zumindest. Sie wollte mit leichtem Gepäck reisen und fühlte sich in einer gemischten Umgebung am wohlsten.
An dem Tag, als Roz ihr Abschlußzeugnis bekam, führte ihr Vater sie aus, zusammen mit ihrer Mutter und ihren zunehmend abgerissenen und – inzwischen – peinlich wirkenden Nicht-Onkeln, die ihr ganzes Geld durchgebracht hatten und jetzt wieder in einem Logierhaus lebten. Sie gingen in ein elegantes Restaurant, in dem die Speisekarte französisch war und die englische Version nur ganz klein darunter stand. Als Nachtisch wurde Eiscreme angeboten, in verschiedenen französischen Geschmacksrichtungen: cassis, fraise, citron, pistache.
»Französisch gehörte nie zu meinen Pässen«, sagte Onkel Joe. »Ich nehm das Pastiche.«
Das war ich, denkt Roz. Ich war das Pastiche.
45
Sehr viel später, als Roz eine verheiratete Frau war, nachdem ihre Mutter gestorben war – langsam und mißbilligend, da Sterben unschamhaft war und es fast einer Sünde gleichkam, männliche Ärzte an sich herumfummeln zu lassen – und ihr Vater ihr gefolgt war, in abrupten, schmerzhaften Schüben, wie ein ruckender Zug – als all das geschehen und Roz elternlos war, erfuhr sie, wo das Geld hergekommen war. Nicht das spätere Geld, darüber wußte sie Bescheid, sondern das erste Geld. Die Wurzel, der Setzling, der Hort.
Sie hatte Onkel George im Krankenhaus besucht, weil auch er im Sterben lag. Er hatte kein Einzelzimmer, nicht einmal ein Zwei- oder Dreibettzimmer; er lag in einem Saal. Keiner der Onkel hatte es zu etwas gebracht. Nachdem sie ihr eigenes Geld durchgebracht hatten, hatten sie auch noch einen Teil von dem von Roz’ Vater verschleudert. Sie hatten gespielt, sie hatten gepumpt; das heißt, sie hatten es pumpen genannt, obwohl alle drei gewußt haben mußten, daß sie es nie zurückzahlen würden. Aber Roz’ Vater sagte nie nein, zu keiner Bitte der beiden.
»Es ist die Prostata«, sagte Onkel Joe am Telefon. »Erwähn es lieber gar nicht.« Und so sagte Roz nichts, weil auch die Onkel ihre schamhaften Regionen hatten. Sie nahm Blumen mit, und eine Vase, um sie hineinzustellen, weil es in Krankenhäusern nie Vasen gab; sie setzte ein strahlendes Lächeln und ein geschäftiges, kompetentes Gebaren auf, ließ aber beides auf der Stelle fallen, als sie sah, wie furchtbar Onkel George ausschaute. Er war völlig eingeschrumpft, er war völlig eingefallen. Sein Kopf sah aus wie ein Totenschädel. Roz saß neben ihm und trauerte innerlich. Der Mann im nächsten Bett schlief und schnarchte.
»Der da, der geht nirgends mehr hin«, sagte Onkel George, als hätte er selbst noch Pläne.
»Möchtest du ein Zimmer für dich allein?« sagte Roz. Sie konnte es für ihn arrangieren, mit Leichtigkeit.
»Nein«, sagte Onkel George. »Ich mag die Gesellschaft. Ich hab gern Leute um mich. Verstehst du? Außerdem kostet so was ’ne Stange. Ich hatte nie das Talent.«
»Wofür?« fragte
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