Die Räuberbraut
erzählt. Es wäre nur noch ein Punkt mehr für ihn gewesen, und er hatte sowieso schon reichlich Vorsprung, er und seine auf altem Geld beruhende Pingeligkeit, seine vorgeschobenen Skrupel. Dividenden einkassieren, ja, Juden schmuggeln, nein. Jedenfalls hätte Roz darauf gewettet. Er betrachtete ihr Geld ja so schon mit geheimer Verachtung, obwohl er anscheinend nichts dagegen hatte, es auszugeben.
Aber auch altes Geld schlug Profit aus menschlicher Verzweiflung, solange die Verzweiflung und das Fleisch und das Blut ein paar Ecken entfernt waren. Was zum Teufel glaubten Leute wie Mitch denn, wo ihre Dividenden herkamen? Und was war mit den südafrikanischen Goldminenaktien, die zu kaufen er ihr geraten hatte? Bei jeder Unterhaltung zwischen ihnen war noch eine dritte Partei anwesend: ihr Geld, das zwischen ihnen auf dem Sofa saß wie ein Troll, oder wie ein schweres, empfindungsloses Gemüse.
Gelegentlich fühlte es sich an wie ein Teil von ihr, wie ein Teil ihres Körpers, wie ein Buckel. Sie war hin und her gerissen zwischen dem Drang, es von sich abzuschneiden und wegzugeben, und dem Drang, es zu vermehren, denn war es nicht ihr Schutzschild? Vielleicht war beides derselbe Drang. Wie ihr Vater immer gesagt hatte, konnte man nicht geben, ohne vorher gemacht zu haben.
Roz machte mit der linken Hand und gab mit der rechten, oder war es umgekehrt? Zuerst gab sie den Körperteilen, den Herzen, wegen ihres Vaters, dem Krebs, wegen ihrer Mutter. Sie gab dem Welthunger, sie gab United Appeal, sie gab dem Roten Kreuz. Das war in den Sechzigern. Aber als die Frauenbewegung in den siebziger Jahren über die Stadt hinwegfegte, wurde Roz von ihr aufgesaugt wie ein Staubfussel von einem Staubsauger. Sie war sichtbar, das war der Grund. Sie war eine öffentliche Figur, und es gab damals nicht viele Frauen, auf die das zutraf, von Filmstars und der Königin von England einmal abgesehen. Außerdem war sie empfänglich für die Botschaft, nachdem sie schon zweimal von Mitch und seinen Dingern gebeutelt worden war. Das erste Mal – jedenfalls das erste Mal, von dem sie wußte – war, als sie mit Larry schwanger war, und noch tiefer konnte er nicht sinken.
Roz liebte die bewußtseinsbildenden Gruppen, sie liebte die offenen, freimütigen Gespräche. Es war, als holte sie all die Schwestern nach, die sie nie gehabt hatte, es war, als hätte sie auf einmal eine große Familie, deren Mitglieder ausnahmsweise einmal etwas gemeinsam hatten; es war, als würde sie, endlich, in all die Gruppen und Cliquen eingelassen, in die sie bisher nie so richtig hatte eindringen können. Keine kleinen Gemeinheiten und Spitzen mehr, kein Mein-Mann-ist-besser-als-dein-Mann mehr, kein vorsichtiges Um-den-heißen-Brei-Herumreden mehr. Man konnte alles sagen!
Sie liebte es, im Kreis zu sitzen, obwohl ihr nach einer Weile auffiel, daß der Kreis nicht so ganz kreisförmig war. Eine Frau erzählte von ihren Problemen und gestand ihren Schmerz ein, und dann eine andere, und dann kam Roz an die Reihe, und eine Art ungläubiges Staunen trat in ihre Augen, und dann wechselte irgend jemand das Thema.
Wieso? Wieso war der Schmerz, den Roz empfand, zweitklassig? Es dauerte eine Weile, bis sie dahinterkam: es lag an ihrem Geld. Sie dachten, daß jemand, der soviel Geld hatte wie Roz, unmöglich leiden konnte. Sie erinnerte sich an einen alten Ausdruck der Onkel: Mir blutet das Herz. Der Ausdruck triefte vor Sarkasmus, und immer war jemand gemeint, der Glück gehabt hatte, was bedeutete, daß er reich geworden war. Von Roz wurde erwartet, daß sie das Bluten übernahm, aber sie durfte nicht damit rechnen, daß auch für sie geblutet wurde.
Es gab jedoch einen Bereich, in dem Roz gefragt war. In einer Bewegung, die so durchgängig unter Geldmangel litt, konnte man fast sagen, daß sie unersetzlich wtar. Von daher war es nur natürlich, daß sie zu ihr kamen, als WiseWomanWorld der Bankrott drohte, weil es der Zeitschrift einfach nicht gelang, die großen Hochglanzanzeigen für Lippenstift und Alkohol anzuziehen. WiseWomanWorld war damals mehr als eine Zeitschrift, es war eine Freundin; eine Freundin, die hohe Ideale und Hoffnungen mit dem Teilen schlimmer und schmutziger Geheimnisse verband. Die Wahrheit über Selbstbefriedigung! Die Wahrheit darüber, daß man seine Kinder manchmal am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand knallen würde! Was zu tun war, wenn Männer in der U-Bahn von hinten ihre Schwänze an einem rieben, und was, wenn der eigene Chef einen
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