Die Räuberbraut
hat noch nie Tennis gespielt, sie hat noch nie auf einem Pferd gesessen, sie kennt keinen einzigen der hübschen Volkstänze aus Israel, kein einziges der wehmütigen jiddischen Lieder in Moll. Sie fällt von Segelbooten in das eisige, blaue, nördliche Wasser der Georgian Bay, weil sie noch nie im Leben auf einem Boot gewesen ist; wenn sie versucht, Wasserski zu laufen, kriegt sie im letzten Augenblick Angst, genau in dem Augenblick, in dem sie den Motor hochjagen, und geht unter wie ein Stein. Als sie sich das erste Mal in einem Badeanzug zeigt – nicht etwa, daß sie wirklich schwimmen könnte, ihr Stil beschränkt sich auf ein wenig anmutiges Umsichschlagen –, merkt sie, daß man sich die Achselhöhlen rasieren sollte. Wer hätte sie darauf hinweisen können? Nicht ihre Mutter, für die der Körper kein Thema ist. Sie ist noch nie im Leben aus der Stadt herausgekommen. Die anderen Kinder tun so, als hätten sie von Geburt an ein Kanu gepaddelt und in muffigen Zelten geschlafen, aber Roz kann sich nicht an die Insekten gewöhnen.
Sie sitzt am Frühstückstisch, in der Blockhütte, die als Speisesaal dient, und hört schweigend zu, wie die anderen Mädchen sich gelangweilt über ihre Mütter beklagen. Roz würde sich auch gerne über ihre Mutter beklagen, hat aber schon feststellen müssen, daß ihre Klagen nicht zählen, weil ihre Mutter nicht jüdisch ist. Wenn sie mit ihren Logierhaus-Geschichten anfängt, ihren Geschichten von Toiletten und Toilettenschrubben, verdrehen sie die Augen und gähnen zierlich wie kleine Kätzchen und kommen wieder auf ihre eigenen Mütter zu sprechen. Roz kann das nicht wissen, geben sie ihr zu verstehen. Sie kann es nicht verstehen.
An den Nachmittagen drehen sie sich die Haare auf und lackieren sich die Nägel, und nach den Volkstänzen und den Liedern und dem Rösten von Marshmellows und den Beatnik-Kostümparties werden sie langsam von verschiedenen Jungs zurück zu ihren Hütten begleitet, durch die aromatische, schmerzliche Dunkelheit mit ihren Eulengeräuschen und ihren Moskitos und ihrem Geruch nach Kiefernnadeln, ihren wie Glühwürmchen blinkenden Taschenlampen, ihrem matten Gemurmel. Keiner dieser Jungen schlendert herüber, um mit Roz zu scherzen, keiner steht vor ihr und stützt sich über ihrem Kopf mit der Hand an einem Baum ab. Sicher, nur die wenigsten von ihnen sind groß genug, um das zu können, aber vor allem, wer möchte schon mit einer närrischen Halb-Schickse mit Nilpferdhüften gesehen werden? Also bleibt Roz zurück, um beim Aufräumen zu helfen. Der Himmel weiß, daß sie auf diesem Gebiet eine Expertin ist.
In Kunst und Werken, einem Fach, in dem Roz nicht gerade glänzt - ihre getöpferten Aschenbecher sehen aus wie Kuhfladen, ihr auf einem primitiven Handwebstuhl im Inka-Stil gewebter Gürtel, als hätte die Katze ihn in den Krallen gehabt-, sagt sie, daß sie austreten muß und schleicht sich in die Küche, um sich vor dem Essen ein paar Häppchen zu erbetteln. Sie hat sich mit dem Koch angefreundet, einem alten Mann, der mit Buttercreme eine ganze Entenreihe quer über eine Torte malen kann, in einem einzigen kalligraphischen Schwung, ohne auch nur einmal abzusetzen. Er zeigt Roz, wie es geht und wie man eine Rose aus Zuckerguß macht, mitsamt Stiel und Blatt. »Eine Rose ohne Blatt ist wie eine Frau ohne Ehre«, sagt er mit einer höflichen, altmodischen, europäischen Verbeugung und reicht ihr den Spritzbeutel, damit sie es versuchen kann. Er läßt sie die Schüssel auslecken und sagt, daß sie die richtige Figur für eine Frau hat, nicht nur Haut und Knochen, wie so manche hier, er sieht sofort, daß sie etwas für gutes Essen übrig hat. Er hat einen Akzent, wie ihre Onkel und eine verblaßte, blaue Nummer auf dem Arm.
Sie stammt aus dem Krieg, aber Roz fragt nicht danach, weil niemand hier über den Krieg spricht, noch nicht. Der Krieg ist tabu.
Roz erkennt, daß sie nie hübscher, anmutiger, schlanker, sexier oder schwerer zu beeindrucken sein wird als diese Mädchen. Sie beschließt, statt dessen klüger, witziger und reicher zu sein, und wenn sie das geschafft hat, können alle ihr den Buckel runterrutschen. Sie fängt an, Grimassen zu schneiden; sie greift auf die alte Rüpelhaftigkeit der Huron Street zurück, um auf sich aufmerksam zu machen. Bald hat sie sich einen Platz in der Gruppe erkämpft: sie ist der Witzbold. Gleichzeitig imitiert sie. Sie eignet sich ihren Akzent an, ihren Tonfall, ihr Vokabular; sie legt sich
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