Die Räuberbraut
alten Häusern mit den winzigen Rasenflächen davor, in ein riesiges Haus mit einem Halbkreis als Auffahrt und einer Garage für drei Autos. Roz schloß daraus, daß sie reich geworden waren, aber ihre Mutter sagte, sie dürfe dieses Wort nicht benutzen. »Wir leben jetzt auskömmlich«, so drückte sie es aus.
Aber sie schien sich ganz und gar nicht auskömmlich zu fühlen. Sie schien Angst zu haben. Sie hatte Angst vor dem Haus, sie hatte Angst vor der Putzfrau, auf der Roz’ Vater bestanden hatte, sie hatte Angst vor den neuen Möbeln, die sie selbst gekauft hatte – »Kauf nur das Beste«, hatte Roz’ Vater gesagt –, sie hatte Angst vor ihren neuen Kleidern. Sie wanderte im Morgenmantel und in Pantoffeln von Zimmer zu Zimmer, als suchte sie etwas; als hätte sie sich verlaufen. Sie hatte sich in ihrer alten Gegend bedeutend sicherer gefühlt, wo alles die richtige Größe hatte und sie sich auskannte.
Sie sagte, sie habe niemanden, mit dem sie reden könne. Aber wann hatte sie je viel geredet, früher? Und mit wem hatte sie je geredet? Mit Roz, mit Roz’ Vater, mit den Onkeln. Jetzt hatten die Onkel eigene Häuser. Mit den Mietern? Es gab keine Mieter mehr, über die sie schimpfen und die sie herumkommandieren konnte. Wenn Lieferanten an die Tür kamen, sahen sie sie kurz an und verlangten die Dame des Hauses zu sprechen. Aber sie mußte so tun, als wäre sie glücklich, wegen Roz’ Vater. »Darauf haben wir die ganze Zeit gewartet«, sagte er.
Roz hat auch neue Kleider, und einen neuen Namen. Sie ist nicht mehr Rosalind Greenwood, sie ist Roz Grunwald. Das, so sagen ihre Eltern, war die ganze Zeit ihr richtiger Name. »Und wieso wurde ich dann nicht so genannt?« fragt sie.
»Weil Krieg war«, sagen sie. »Weil der Name zu jüdisch war. Es war nicht sicher, so zu heißen.«
»Ist es jetzt sicher?« fragt sie.
Nicht ganz. Andere Dinge sind sicher, da, wo sie jetzt leben. Dafür sind andere Dinge gefährlich.
Roz geht auf eine neue Schule. Sie ist jetzt in der High-School, sie besucht das Forest Hill Collegiate Institute. Sie ist nicht mehr katholisch; sie hat den Katholizismus aufgegeben – nicht ohne Gewissensbisse, nicht rückstandslos –, um Jüdin zu werden. Da es so offensichtlich verschiedene Seiten gibt, möchte sie lieber auf dieser stehen. Sie liest viel darüber, weil sie alles richtig machen will; dann bittet sie ihren Vater, zwei Sorten Geschirr zu kaufen und ißt keinen Frühstücksspeck mehr. Ihr Vater kauft das Geschirr, um ihr einen Gefallen zu tun, aber ihre Mutter weigert sich, das Geschirr für Fleisch von dem für Milchspeisen zu trennen und sieht sie mit waidwunden Blicken an, wenn sie sich darüber beklagt. Außerdem will ihr Vater keiner Gemeinde beitreten. »Ich war noch nie religiös«, sagt er. »Wie ich schon immer gesagt habe – wem gehört Gott? Wenn die Religionen nicht wären, gäb’s diesen ganzen Ärger nicht.«
Es gibt eine Menge jüdischer Kinder in Roz’ neuer Schule; genauer gesagt ist es an dieser Schule das einzig Wahre, jüdisch zu sein. Aber während Roz früher nicht katholisch genug war, ist sie jetzt nicht jüdisch genug. Sie ist eine Kuriosität, eine Mischung, eine seltsame Halb-Person. Ihre Kleider, obwohl teuer, sind auf irgendeine subtile Weise nicht so ganz richtig. Ihr Akzent ist ebenfalls nicht richtig. Die Dinge, für die sie sich begeistert, sind nicht richtig, ihre Fertigkeiten auch nicht: daß sie die Brennessel beherrscht und gegen Schienbeine treten und wie der Teufel pokern kann, macht hier keinen Eindruck. Abgesehen davon ist sie zu groß; außerdem zu laut, zu ungeschickt, zu sehr darauf erpicht, zu gefallen. Sie hat keinen Schliff, keine Blasiertheit, keine Klasse.
Sie kommt sich vor wie in einem fremden Land. Sie ist eine Einwanderin, ein Flüchtling. Das Schiff ihres Vaters ist gekommen, aber sie ist gerade erst von Bord gegangen. Oder vielleicht ist es etwas anderes; vielleicht ist es das Geld. Roz hat reichlich Geld, aber es muß altern, wie guter Wein oder Käse. Es ist zu auffällig, zu glänzend, zu marktschreierisch. Es ist zu schamlos.
Ihr Vater schickt sie in ein jüdisches Sommercamp, weil er in Erfahrung gebracht hat, daß man das mit seinen Kindern tut, hier, in diesem Land, in dieser Stadt, in diesem Viertel, im Sommer. Er will, daß Roz glücklich ist, er will, daß sie dazugehört. Für ihn ist beides dasselbe. Aber im Camp ist sie noch mehr ein Eindringling, ein noch offensichtlicherer Fremdling: sie
Weitere Kostenlose Bücher