Die Räuberbraut
Roz.
»Anders als dein Vater«, sagte Onkel George. »Der konnte morgens mit einem Dollar anfangen, und wenn der Tag vorbei war, hatte er fünf. Ich, ich hab immer nur diesen einen Dollar genommen und ihn auf ein Pferd gesetzt. Ich war immer mehr für ein bißchen Spaß.«
»Wo hatte er ihn her?« fragte Roz.
Onkel George sah sie mit seinen welken, gelben Augen an. »Wen?« sagte er unschuldig, durchtrieben.
»Den ersten Dollar«, sagte Roz. »Was habt ihr drei wirklich gemacht, im Krieg?«
»Das brauchst du nicht zu wissen«, sagte Onkel George.
»Doch«, sagte Roz. »Es ist okay, er ist tot. Du kannst es mir ruhig sagen, du wirst meine Gefühle nicht verletzen.«
Onkel George seufzte. »Also gut«, sagte er. »Es ist lange her.«
»Ich bin’s, die fragt«, sagte Roz, die oft gehört hatte, wie die Onkel diesen Ausdruck benutzten, immer mit Erfolg.
»Dein Vater war ein Organisator«, sagte Onkel George. »Er hat Sachen organisiert. Er hat vor dem Krieg organisiert, er hat im Krieg organisiert, und nach dem Krieg hat er’s auch gemacht.«
»Was hat er organisiert?« sagte Roz, die sich denken konnte, daß es nicht um Kühlschränke ging.
»Um ehrlich zu sein«, sagte Onkel George langsam, »war dein Vater ein Ganove. Versteh mich nicht falsch, er war auch ein Held.
Aber wenn er kein Ganove gewesen wär, hätte er kein Held sein können. So ist das nun mal gewesen.«
»Ein Ganove?« sagte Roz.
»Wir waren alle Ganoven«, sagte Onkel George geduldig. »Alle waren Ganoven. Sie klauten alles, was nicht niet- und nagelfest war, du würdest es nicht glauben – Bilder, Gold, Zeug, das man verstecken und später verkaufen konnte. Sie wußten, was kommen würde, und zum Schluß haben sie sich einfach alles unter den Nagel gerissen. Wenn es einen Krieg gibt, klauen die Leute immer. Sie klauen, was sie kriegen können. Das ist es, was ein Krieg wirklich ist - ein Krieg ist ein einziger Diebstahl. Warum hätten wir anders sein sollen? Joe hat die Informationen besorgt, ich war der Fahrer, dein Vater hat alles geplant. Wann wir in Aktion treten mußten, wem wir trauen konnten. Ohne ihn wäre gar nichts gelaufen.
Also haben wir die Sachen für sie rausgeschafft – illegal, das brauch ich dir wohl nicht zu sagen, bei den Gesetzen, die sie hatten –, wir haben die Wachen bestochen, alle haben genommen, was sie kriegen konnten. Wir haben sie an einem sicheren Ort versteckt, bis nach dem Krieg. Aber woher wollten sie wissen, was was war, woher wollten sie wissen, wo wir die Sachen hinbrachten? Also behielten wir einen Teil der Sachen für uns. Brachten sie woanders hin. Holten sie später ab. Ein paar waren auch tot, also bekamen wir deren Sachen.«
»Das hat er gemacht?« sagte Roz. »Er hat den Nazis geholfen?«
»Es war gefährlich«, sagte Onkel George vorwurfsvoll, als wäre Gefahr eine Rechtfertigung. »Manchmal haben wir auch Sachen rausgeschafft, die wir nicht hätten rausschaffen dürfen. Wir haben Juden rausgeschafft. Wir mußten vorsichtig sein, unsere normalen Kontakte benutzen. Sie haben uns gewähren lassen, denn wenn sie uns geschnappt hätten, wären sie auch dran gewesen. Aber dein Vater wußte immer genau, wie weit er gehen konnte. Er wußte immer, wann es zu gefährlich wurde. Er wußte immer, wann er aufhören mußte.«
»Danke, daß du es mir erzählt hast«, sagte Roz.
»Du brauchst mir nicht zu danken«, sagte Onkel George. »Wie ich gesagt hab, er war ein Held. Nur würden manche das nicht verstehen.« Er war müde; er machte die Augen zu. Seine Lider waren zart und zerknittert, wie nasses Kreppapier. Er hob eine schmale, vertrocknete Hand, gab ihr zu verstehen, daß sie entlassen war.
Roz ging durch das weißgekachelte Labyrinth des Krankenhauses und wollte nur nach Hause, zu einem anständigen Drink. Was soll sie daraus schließen, aus diesem neuen, dubiosen Wissen? Daß ihr Geld schmutzig ist, oder daß alles Geld schmutzig ist? Es ist nicht ihre Schuld, sie hat es nicht getan, sie war nur ein Kind. Sie hat die Welt nicht gemacht. Trotzdem hat sie das Gefühl, daß Hände, knochige Hände, sich aus der Erde strecken und nach ihren Knöcheln greifen und zurückverlangen, was ihnen gehört. Wie alt sind diese Hände? Zwanzig, dreißig Jahre, oder tausend, zweitausend? Wer weiß, wo Geld überall gewesen ist. Wasch dir die Hände, wenn du welches angefaßt hast, sagte ihre Mutter immer. Es ist voller Bakterien.
Sie hat Mitch nichts davon erzählt. Sie hat ihm nie etwas davon
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