Die Räuberbraut
Roz völlig fertig, weil sie eine fürchterliche Woche im Büro hinter sich hat, Überlastungsfaktor zehn, und die Zwillinge sich ausgerechnet diesen Tag ausgesucht haben, um sich gegenseitig die Haare zu schneiden, weil sie partout zwei Punk-Rocker sein wollen, obwohl sie erst sieben sind, dabei hatte Roz die Absicht, sie Zenia vorzuführen, aber jetzt sehen sie aus, als hätten sie die Räude im Endstadium, und sie zeigen nicht einmal die leiseste Spur von Reue, und überhaupt weiß Roz, daß sie sich ihren Ärger nicht anmerken lassen dürfte, weil die Mädchen gar nicht erst auf die Idee kommen sollen, daß hübsch sein das einzige ist, was zählt, und daß das, was andere Leute darüber denken, wie sie ihre Körper herrichten sollen, wichtiger ist als ihre eigene Meinung.
Deshalb hat sie nach ihrem ersten Aufschrei der Überraschung und der Verzweiflung versucht, so zu tun, als wäre alles ganz normal, was in gewisser Weise ja auch stimmt, obwohl ihre Zunge nur noch ein Stummel ist, weil sie die ganze Zeit darauf herumgebissen hat, und sie hat pflichtschuldigst den schier unwiderstehlichen Wunsch unterdrückt, die beiden in die Badewanne zu stecken oder zum Spielen in ihre Zimmer zu schicken, und als Zenia dann vor der Haustür steht, in unglaublichen Schuhen aus Echsenleder, die mindestens dreihundert Dollar gekostet und so hohe Absätze haben, daß ihre Beine aussehen, als wären sie eine Meile lang, und in einem hinreißenden Kostüm aus fuchsienroter und schwarzer Rohseide, mit einer kleinen, gerafften Taille und einem engen Rock, der hoch über ihren Knien endet – Roz findet es widerlich, daß Mini-Röcke wieder in sind, was macht man, wenn man ernsthafte Oberschenkel hat, und sie erinnert sich noch an das letzte Mal, als diese Röcke der letzte Schrei waren, in den Sechzigern, man mußte ständig mit zusammengeklebten Beinen dasitzen, sonst war einfach alles zu sehen, das einst Unaussprechliche, der zentrale Punkt, die unanständige, beschämende Stelle, der unbezahlbare Schatz, eine Aufforderung für männliche Blicke, für lüsternes Kneifen und Feixen, für Schaum vor dem Mund, für Vergewaltigung und Plünderung, genau wie die Nonnen immer gewarnt hatten –, kommen die Zwillinge, angetan mit Roz’ abgelegten Unterröcken aus ihrer Verkleidungskiste und mit Mitchs elektrischem Rasierapparat bewaffnet durch die Halle gerannt und versuchen, die Katze zu fangen, weil sie wollen, daß sie ihr Punk-Rock-Maskottchen wird, obwohl Roz ihnen schon hundertmal gesagt hat, daß der Rasierapparat für sie strengstens verboten ist und sie furchtbaren Ärger bekommen, wenn Mitch Katzenhaare darin findet, es ist schlimm genug, wenn Roz ihren eigenen Rasierer nicht finden kann und den von Mitch nimmt, um sich die Beine und die Achselhöhlen zu rasieren, und ihn hinterher nicht sorgfältig genug saubermacht. Aber die Zwillinge hören ihr nicht einmal zu, weil sie davon ausgehen, daß Roz sie decken wird, daß sie das Blaue vom Himmel herunterlügen wird, daß sie sich in die Schußlinie werfen wird, und sie haben recht, genau das wird sie.
Zenia sieht die beiden und sagt: »Gehören die dir? Sind sie in die Küchenmaschine gefallen?« Und es ist genau dasselbe, was Roz an ihrer Stelle auch gesagt hätte, oder zumindest gedacht, und sie weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll.
Sie lacht, und sie setzen sich mit ihrem Drink auf die rundum verglaste Veranda, die Wintergarten zu nennen sich Roz vehement weigert, obwohl sie sich immer einen Wintergarten gewünscht hat, mit winzigen Orangenbäumen oder Orchideen, wie in den Krimis aus den zwanziger Jahren, bei denen immer ein Grundriß des englischen Herrenhauses dabei war, mit einem Kreuz an der Stelle, an der die Leiche aufgefunden wird, relativ häufig in eben diesem Wintergarten. Aber obwohl die Veranda ganz verglast ist und oben eine Art viktorianische Kuppel hat, ist sie zu klein, um ein richtiger Wintergarten zu sein, und die Bezeichnung selbst ist zu hochtrabend für Roz’ Mutter, die phasenweise immer noch im Inneren von Roz’ Kopf existiert und abfällig die Nase rümpfen würde, obwohl das Zimmer voller Pflanzen ist, Pflanzen mit begrenzter Lebenserwartung, denn wer ist eigentlich für sie zuständig? Mitch sagt, er hat keine Zeit, obwohl er derjenige war, der diese ganze Vegetation bestellte; aber Roz hat nun einmal keine grünen Finger, ihre Finger sind braun, braun wie vertrocknetes Schilf. Es liegt nicht daran, daß sie nicht will, daß die
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