Die Räuberbraut
nahrhaften Mahlzeiten auf den Tisch bringen, ihn füttern, ihn aufbauen, und er würde wieder zu Kräften kommen und wieder auf und davon ziehen, in seinem Langboot, in seiner Galeone, auf den Sieben Meeren nach dem Heiligen Gral suchen, nach Helena von Troja, nach Zenia, das Fernglas vor den Augen, Ausschau haltend nach ihrer Piratenflagge. Roz kann es in seinen Augen sehen, die auf den Horizont gerichtet sind, nicht auf sie. Selbst wenn er zurückkäme, in ihr Schlafzimmer, in ihr Bett mit den himbeerfarbenen Laken, in ihren Körper, würde nicht sie es sein, die unter ihm ist, auf ihm, um ihn herum, nie mehr wieder. Zenia hat ihm etwas gestohlen, hat ihm das eine gestohlen, das er immer beschützt hat, vor allen Frauen, selbst vor Roz. Vielleicht könnte man es seine Seele nennen. Zenia hat sie ihm aus der Brusttasche geklaut, als er gerade nicht hinsah, mit derselben Leichtigkeit, mit der man einen total Besoffenen ausnehmen kann, und hat sie begutachtet und hineingebissen, um zu sehen, ob sie echt ist, und die Nase gerümpft, weil sie ihr doch zu mickrig war, und sie weggeworfen, weil sie zu der Sorte Frau gehört, die haben will, was sie nicht hat, und bekommt, was sie will, und es dann, wenn sie es hat, verachtet.
Was ist ihr Geheimnis? Wie macht sie das? Woher kommt sie, die unbestreitbare Macht, die sie über Männer hat? Wie schafft sie es, sich an sie anzuklinken, sie aus dem Tritt zu bringen, sie ins Stolpern zu bringen und sie dann so problemlos von innen nach außen zu kehren? Es muß etwas sehr Einfaches und sehr Offensichtliches sein. Sie erzählt ihnen, daß sie einzigartig sind, und führt ihnen dann vor Augen, daß sie es nicht sind. Sie öffnet ihren Mantel mit den geheimen Taschen und zeigt ihnen, wie der Zaubertrick funktioniert, und daß es nichts anderes ist als ein Trick. Bloß daß sie an diesem Punkt angelangt, schon nicht mehr sehen wollen; sie glauben, daß das Wasser der ewigen Jugend echt ist, obwohl Zenia die Flasche vor ihren Augen ausleert und aus dem Wasserhahn nachfüllt. Sie wollen einfach glauben.
»Es würde nicht funktionieren«, sagt sie zu Mitch. Es ist keine Rachsucht. Es ist einfach nur die Wahrheit.
Anscheinend weiß er das selbst, denn er versucht nicht, sie umzustimmen. Er zieht sich in seine zerknitterten Kleider zurück; sein Hals wird kürzer, als drückte ein stetes, aber unerbittliches Gewicht langsam auf seine Schädeldecke. »Wahrscheinlich nicht«, sagt er.
»Hast du die Wohnung nicht behalten?« fragt Roz. »Wohnst du nicht dort?«
»Ich könnte nicht da wohnen«, sagt Mitch. Seine Stimme ist vorwurfsvoll, als sei es taktlos von ihr, grausam, so etwas auch nur in Erwägung zu ziehen. Weiß sie denn nicht, wie unerträglich es für ihn wäre, an einem Ort zu leben, den er einst mit der entflohenen Geliebten teilte, einem Ort, wo alles ihn an die liebe Dahingegangene erinnert, einem Ort, an dem er so glücklich war?
Roz weiß es. Sie lebt selbst an so einem Ort. Aber offensichtlich ist ihm dieser Gedanke noch nicht gekommen. Jene, die leiden, haben keine Augen für das Leid, das sie selbst zufügen.
Roz begleitet ihn hinaus in die Eingangshalle, hilft ihm in den Mantel, was ihr fast den Rest gibt, weil es auch ihr Mantel ist, sie hat ihm dabei geholfen, ihn zu kaufen, sie hat das Leben geteilt, das er in diesem Mantel führte, diesem geschmackvollen Leder, diesem Schaffell, das einst einen so gewissenlosen Wolf verbarg. Nicht mehr, nicht mehr; er ist jetzt zahnlos. Armes Lamm, denkt Roz, und ballt die Hände zu Fäusten, weil sie sich nicht noch einmal so zum Narren halten lassen will.
Er geht davon, hinein in die eisige Februardämmerung, hinein ins Unbekannte. Roz sieht ihm nach, wie er zu seinem geparkten Wagen geht, ein wenig schwankend, obwohl er seinen Drink nicht einmal angerührt hat. Die Straßen sind vereist. Vielleicht hat er was genommen, irgendwelche Pillen, ein Beruhigungsmittel. Wahrscheinlich sollte er nicht fahren, aber es ist nicht mehr ihre Aufgabe, ihn daran zu hindern. Sie sagt sich selbst, daß es nicht nötig ist, seinetwegen ein schlechtes Gewissen zu haben. Er kann in ein Hotel gehen. Es ist schließlich nicht so, als hätte er kein Geld.
Sie läßt seine roten Rosen auf der Anrichte liegen, immer noch in ihr geblümtes Papier eingewickelt. Sollen sie verwelken. Dolores soll sie morgen finden und Roz im Herzen Vorwürfe wegen ihrer Gleichgültigkeit machen, diese reichen Leute wissen einfach nicht, was Sachen kosten, und sie
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