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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Mitch geheiratet, weil sie, obwohl sie damals dachte, er sei anders als ihr Vater, insgeheim gespürt hat, daß er unter der Oberfläche ganz genauso war. Er würde sie genauso betrügen, wie ihr Vater ihre Mutter betrogen hatte, und sie würde ihm immer wieder verzeihen und ihn immer wieder zurücknehmen, so wie ihre Mutter es getan hatte. Sie würde ihn retten, immer und immer wieder. Sie würde die Heilige spielen und er den Sünder.
    Außer, daß ihre Eltern bis zum Schluß zusammengeblieben sind, und Roz und Mitch nicht, was also ist schiefgelaufen? Zenia ist schiefgelaufen. Zenia hat das Drehbuch einfach umgeschrieben, von Rettung zu Flucht, und als Mitch dann endlich doch wieder gerettet werden wollte, war Roz nicht mehr dazu in der Lage. Wessen Fehler war das? Wer war daran schuld? Ah. Hatte Roz nicht das Gefühl, daß sie zuviel Zeit darauf verwendete, Schuld zuzuweisen? Konnte es vielleicht sein, daß sie sich selbst die Schuld gab? Kurz gesagt, ja. Vielleicht gelingt es ihr immer noch nicht so ganz, Gott aus dem Spiel zu lassen, und die Vorstellung, daß sie bestraft wird.
    Vielleicht war niemand schuld, schlägt die Therapeutin vor. Vielleicht passieren diese Dinge einfach, wie Flugzeugabstürze.
    Wenn Roz Mitch wirklich unbedingt zurückhaben will – und wie es aussieht, will sie das, jetzt, wo sie einen größeren Einblick in die Dynamik ihrer Beziehung hat –, sollte sie ihn vielleicht bitten, zu einer Beratung zu kommen. Vielleicht sollte sie ihm wenigstens bis zu diesem Punkt verzeihen.
    Das alles klingt sehr vernünftig. Roz denkt daran, den Anruf zu machen. Sie hat sich fast schon dazu durchgerungen, sie ist fast soweit. Aber dann, im regnerischen März, stirbt Zenia. Kommt im Libanon ums Leben, wird von einer Bombe zerfetzt; kehrt in einer Blechbüchse zurück und wird beerdigt. Roz weint nicht. Sie jubiliert – wenn es ein Freudenfeuer gäbe, würde sie um es herumtanzen, das Tamburin schütteln, wenn eins zur Verfügung stünde. Aber hinterher hat sie Angst, weil Zenia vor allem eins ist, rachsüchtig. Die Tatsache, daß sie tot ist, wird nichts daran ändern. Sie wird sich etwas einfallen lassen.
     
    Mitch ist nicht auf der Beerdigung. Roz verrenkt sich den Hals, aber es sind nur ein paar Männer da, die sie nicht kennt. Und Tony und Charis natürlich.
    Sie fragt sich, ob Mitch Bescheid weiß, und falls ja, wie er es aufnimmt. Eigentlich sollte sie das Gefühl haben, daß Zenia aus dem Weg geschafft worden ist wie ein mottenzerfressener Pelzmantel, wie ein Ast, der quer über dem Weg liegt, aber das hat sie nicht. Die tote Zenia ist ein größeres Hindernis als die lebende Zenia; obwohl sie, wie sie der Therapeutin sagt, nicht erklären kann, wieso das so ist. Könnte es Reue sein, weil Zenia, die verhaßte Rivalin, tot ist, und Roz ihren Tod wollte, und Roz noch lebt? Möglich. Sie sind nicht für alles verantwortlich, sagt die Therapeutin.Bestimmt wird Mitch sich jetzt ändern, auftauchen, reagieren. Aufwachen, wie aus einer Hypnose. Aber er ruft nicht an. Er gibt kein Lebenszeichen von sich, und jetzt ist schon April, die erste Woche, die zweite Woche, die dritte. Als Roz endlich seinen Anwalt anruft, um zu fragen, wo er steckt, kann der Anwalt es nicht sagen. Wenn er sich recht erinnert, war von einer Reise die Rede. Wohin? Der Anwalt weiß es nicht.
    Mitch ist im Lake Ontario. Er ist schon seit einer ganzen Weile dort. Die Polizei findet sein Boot, die Rosalind II, die mit eingeholten Segeln auf dem Wasser treibt, und dann wird Mitch selbst an den Scarborough Bluffs an Land gespült. Er trägt seine Schwimmweste, aber um diese Jahreszeit muß die Kälte ihn sehr schnell getötet haben. Er muß ausgerutscht sein, sagt die Polizei. Ausgerutscht und über Bord gefallen, und dann hat er es nicht geschafft, wieder zurückzuklettern. Es war ziemlich windig, an dem Tag, an dem er auslief. Ein Unfall. Wenn es Selbstmord gewesen wäre, hätte er die Schwimmweste nicht angehabt, oder?
    O doch, o doch, denkt Roz. Das hat er für die Kinder getan. Er wollte ihnen keine schlimme Bürde hinterlassen. Er liebte sie genug, um das für sie zu tun. Aber er wußte über die Temperatur des Wassers Bescheid, er hatte Roz oft genug Vorträge darüber gehalten. Die Körperwärme sinkt schneller ab, als man denken kann. Der Körper wird taub, dann stirbt man. Genau das hat er getan. Roz hat nicht den geringsten Zweifel, daß es Absicht war, sagt aber nichts. Es war ein Unfall, sagt sie den Kindern. Unfälle

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