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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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wegwerfen. Sie schenkt sich einen weiteren Scotch ein und zündet sich eine weitere Zigarette an und holt ihre alten Fotoalben hervor, mit den Fotos, die sie so endlos gemacht hat, bei Geburtstagsparties in Gärten, bei Schulabschlußfeiern, im Urlaub, in Wintern im Schnee, in Sommern auf dem Boot, um sich selbst zu beweisen, daß sie tatsächlich eine Familie waren, und setzt sich in die Küche und sieht sie durch. Fotos von Mitch, in nichtlebensechten Farben: Mitch und Roz bei ihrer Hochzeit, Mitch und Roz und Larry, Mitch und Roz und Larry und die Zwillinge. Sie sucht in seinem Gesicht nach Hinweisen, nach Vorboten der Katastrophe, die über sie gekommen ist. Sie findet keine.
    Manche Frauen in ihrer Situation nehmen Nagelscheren und schneiden die Köpfe der fraglichen Männer aus den Fotos heraus, so daß nur der Körper übrigbleibt. Manche schnipseln auch die Körper heraus. Aber das wird Roz nicht tun, wegen der Kinder. Sie will nicht, daß sie Fotos ihres kopflosen Vaters in die Finger bekommen, sie will sie nicht beunruhigen, jedenfalls nicht noch mehr, als sie es so schon tut. Außerdem würde es sowieso nichts nützen, weil Mitch immer noch auf den Fotos wäre, ein Umriß, eine unausgefüllte Form, die aber genausoviel Platz einnimmt, wie er es in ihrem Bett tut. Sie schläft nie in der Mitte des Betts, sie schläft immer noch auf der einen Seite. Sie bringt es einfach nicht über sich, den ganzen Platz einzunehmen.
    Am Kühlschrank, mit Magneten in der Form lächelnder Schweine und Katzen befestigt, hängen die Valentinskarten, die die Zwillinge in der Schule für sie gemacht haben. Die Zwillinge sind in letzter Zeit sehr anhänglich, sie wollen sie ständig um sich haben. Sie mögen es nicht, wenn sie abends ausgeht. Sie haben nicht bis zum Valentinstag gewartet, sie haben ihre Valentinskarten mit nach Hause gebracht und sie ihr sofort gegeben, als sei es dringend. Es sind die einzigen Valentinskarten, die sie bekommen wird. Wahrscheinlich sind es die einzigen, die sie je wieder bekommen wird. Sie sollten ihr genügen. Was will sie mit glühenden Herzen, mit brennenden Lippen und keuchendem Atem, in ihrem Alter?
    Reiß dich zusammen, Roz, sagt sie zu sich selbst. Du bist nicht alt. Dein Leben ist nicht vorbei. Es fühlt sich bloß so an.
     
    Mitch ist in der Stadt. Er ist in der Nähe. Er besucht die Kinder, und Roz richtet es so ein, daß sie nicht zu Hause ist, obwohl ihre Haut die ganze Zeit prickelt, weil sie sich seiner so bewußt ist. Wenn sie, nachdem er gegangen ist, ins Haus zurückkommt, kann sie ihn riechen – sein After Shave, sein englisches Heidezeug, könnte es sein, daß er ein bißchen was davon verspritzt hat, nur um sie zu treffen? Sie sieht ihn von weitem, in Restaurants oder im Yacht Club. Sie hört auf, hinzugehen. Sie nimmt den Hörer ab, und er ist in der anderen Leitung und spricht mit einem der Kinder. Die ganze Welt ist voller Fußfallen, und es ist ihr Fuß, der ständig hineinstolpert.
    Ihre Anwälte nehmen Kontakt auf. Eine Trennungsvereinbarung wird aufgesetzt, aber Mitch zögert die Sache hinaus; es ist nicht so, daß er Roz will – sonst wäre er schließlich hier, oder etwa nicht, würde vor ihrer Tür stehen, würde wenigstens noch einmal fragen, oder? –, aber er will auch nicht von ihr getrennt sein. Oder vielleicht feilscht er, vielleicht versucht er, den Preis in die Höhe zu treiben. Roz beißt die Zähne zusammen und bleibt fest. Diese Geschichte wird sie einiges kosten, aber es wird es wert sein, die Schnur, das Band, die Kette zu durchschneiden, oder was immer sonst dieses schwere Ding ist, das sie fesselt. Immerhin funktioniert sie. Mehr oder weniger. Obwohl es ihr schon besser gegangen ist.
    Sie fängt eine Therapie an, um zu sehen, ob sie sich verbessern, sich in eine neue Frau verwandeln kann, eine, der das alles nichts mehr ausmacht. Das würde ihr gefallen. Die Therapeutin ist nett, Roz findet sie sympathisch. Gemeinsam nehmen sie sich Roz’ Leben vor, als wäre es ein Puzzle, ein Kriminalroman, an dessen Ende es eine Lösung gibt. Sie legen die einzelnen Steine immer wieder um, versuchen sie so anzuordnen, daß das Ergebnis besser aussieht. Sie sind voller Hoffnung: wenn Roz herausfindet, in welcher Geschichte sie steckt, werden sie in der Lage sein, die Stellen auszumachen, an denen sie falsch abgebogen ist, und dann können sie ihre Schritte zurückverfolgen, das Ende ändern. Sie arbeiten eine versuchsweise neue Handlung heraus. Vielleicht hat Roz

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