Die Räuberbraut
sie angeschaltet hat, damit sie ein bißchen Gesellschaft hat. Manchmal trinkt sie in der Hoffnung, sich zu entspannen, sich auszublenden. Manchmal funktioniert es.
Dolores kündigt. Sie sagt, sie hat einen anderen Job gefunden, einen mit Altersvorsorge, aber Roz glaubt nicht, daß das der Grund ist. Es ist das Pech; Dolores hat Angst, sich anzustecken. Roz wird sie ersetzen, wird jemand anderen finden, später, wenn sie wieder denken kann. Wenn sie geschlafen hat.
Sie geht zum Arzt, einem praktischen Arzt, dem Arzt, zu dem sie die Kinder bringt, wenn sie Husten haben, und bittet ihn um Schlaftabletten. Nur um ihr über diese Phase hinwegzuhelfen, sagt sie. Der Arzt hat Verständnis, sie bekommt die Pillen. Zuerst ist sie vorsichtig, aber dann wirken sie nicht mehr so gut, und sie nimmt mehr. Eines Abends nimmt sie eine ganze Handvoll, mit einem dreistöckigen Scotch; nicht, weil sie sterben will, das hat sie ganz und gar nicht vor, sondern aus Wut darüber, daß sie wach ist. Sie endet auf dem Küchenboden.
Es ist Larry, der sie findet, als er von einem Freund nach Hause kommt. Er ruft den Krankenwagen. Er ist jetzt alt, älter, als er sein sollte. Er ist verantwortlich.
Roz kommt zu sich und stellt fest, daß zwei große Krankenschwestern sie zwischen sich durch einen Flur schleifen, auf und ab, auf und ab. Wo ist sie? In einem Krankenhaus. Wie schwächlich, wie beschämend, sie hatte nicht die Absicht, hier zu landen. »Ich muß nach Haus«, sagt sie. »Ich muß mich ausruhen.«
»Sie kommt zu sich«, sagt die Linke.
»Es wird alles wieder gut, meine Liebe«, sagt die andere.
Roz wurde schon lange nicht mehr als sie oder meine Liebe bezeichnet. Ein Flackern der Demütigung. Dann läßt es nach.
Roz läßt den Nebel unter sich zurück. Sie kann die Knochen ihres Schädels spüren, dünn wie eine Haut; innen ist ihr Gehirn aufgequollen und breiig. Ihr Körper ist dunkel und gewaltig wie der Himmel, ihre Nerven Nadelstiche der Helligkeit: die Sterne, lange, streifige Sterne, wabern wie Seetang. Sie könnte treiben, sie könnte versinken. Mitch wäre da.
Dann sitzt Charis neben ihr, neben ihrem Bett, und hält ihre linke Hand. »Noch nicht«, sagt Charis. »Du mußt zurückkommen; deine Zeit ist noch nicht gekommen. Du hast noch Dinge zu erledigen.«
Wenn Roz sie selbst ist, wenn sie normal ist, findet sie, daß Charis eine liebenswerte Närrin ist – seien wir ehrlich, ein Universalgenie ist sie nicht –, und tut ihre verwaschenen metaphysischen Vorstellungen größtenteils als Unsinn ab. Aber jetzt streckt Charis die andere Hand aus und umfaßt Roz’ Fuß, und Roz spürt, wie der Kummer durch sie hindurchfließt wie eine Welle, durch ihren Körper, in ihren Arm, in ihre Hand, und dann in Charis’ Hand, und fort. Dann fühlt sie ein Zupfen, ein Ziehen, als wäre Charis sehr weit fort, am Ufer, und hielte etwas in der Hand – ein Seil oder etwas Ähnliches –, und sie zieht Roz heraus, heraus aus dem Wasser, dem Wasser des Sees, in dem sie fast ertrunken wäre. Da drüben ist das Leben: ein Strand, die Sonne, mehrere kleine Gestalten. Ihre Kinder, die ihr winken, ihr etwas zurufen, das sie nicht verstehen kann. Sie konzentriert sich darauf, zu atmen, die Luft in ihre Lungen hineinzuzwingen. Sie ist stark genug, sie kann es schaffen.
»Ja«, sagt Charis. »Das kannst du.«
Tony hat sich in Roz’ Haus einquartiert, damit jemand bei den Kindern ist. Als Roz das Krankenhaus verlassen darf, zieht auch Charis zu ihr, nur für eine Weile; nur bis Roz wieder auf den Beinen ist.
»Das müßt ihr nicht«, protestiert Roz.
»Irgend jemand muß«, sagt Tony forsch. »Oder hast du einen anderen Vorschlag?« Sie hat bereits mit Roz’ Büro telefoniert und gesagt, daß Roz Bronchitis hat; und dazu Laryngitis, so daß sie nicht einmal telefonieren kann. Blumen treffen ein. Charis stellt sie in Vasen und vergißt dann, ihnen Wasser zu geben. Sie geht in den Naturkostladen und kommt mit diversen Kapseln und Extrakten zurück, mit denen sie Roz entweder füttert oder einreibt, und mit Frühstücksflocken aus irgendwelchen unbekannten Samenkörnern, die eine Ewigkeit gekocht werden müssen. Roz sehnt sich nach einem Stück Schokolade, und Tony schmuggelt welche für sie ins Haus. »So was ist immer ein gutes Zeichen«, sagt sie zu Roz.
Charis hat Augusta mitgebracht, und die drei Mädchen spielen im Zimmer der Zwillinge mit ihren Barbiepuppen, brutale Spiele, in denen Barbie auf den Kriegspfad geht und die
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