Die Räuberbraut

Hinterzimmerorganisators, dessen Freunde ihn Arnie nannten. Die Halle mit ihren gerahmten Drucken von rundlichen, rotbefrackten, fuchsjagenden Engländern gibt keinen Hinweis.
    Der Sessel, in dem Tony sitzt, ist ledrig und schlüpfrig und für Kolosse gebaut. Ihre Füße reichen nicht bis auf den Boden, nicht einmal, wenn sie sich ganz vorne auf die Kante setzt, und wenn sie nach hinten rutscht, kann sie die Knie nicht um die Kante herumknicken, und ihre Beine ragen steif nach vorn wie bei einer Porzellanpuppe. Also hat sie sich für einen Kompromiß entschieden – eine Art zusammengekauerte Kurve –, aber sie fühlt sich alles andere als wohl dabei.
    Außerdem kommt sie sich trotz ihres unauffälligen, marineblauen Mantels und ihrer vernünftigen Schuhe und ihres langweiligen Peter-Pan-Kragens auffällig vor. Ihre bösen Absichten müssen ihr ins Gesicht geschrieben stehen. Sie hat das Gefühl, daß ihr überall Haare wachsen, kleine Stoppeln, die sich durch die Haut ihrer Beine bohren wie die Stacheln eines Stachelschweins und büschelweise hinter ihren Ohren sprießen. Es ist Zenia, die das bewirkt, der Versuch, Zenia aufzuspüren: er läßt ihre Nervenzellen verschmelzen, arrangiert die Moleküle ihres Gehirns um. Sie entwickelt sich zu einem haarigen weißen Teufel, einem Monster mit Fängen. Vielleicht ist es eine notwendige Transformation, weil Feuer mit Feuer bekämpft werden muß. Aber jede Waffe ist zweischneidig, und von daher wird sie einen Preis dafür bezahlen müssen: sie wird nicht unverändert aus dieser Geschichte hervorgehen.
    In ihrer überdimensionalen Umhängetasche befindet sich die Luger ihres Vaters, die sie aus der Schachtel mit dem Christbaumschmuck, in der sie normalerweise liegt, hervorgekramt und frisch geölt und entsprechend den Instruktionen des Handbuchs der Waffen der vierziger Jahre, die sie in der Bibliothek fotokopiert hat, geladen hat. Sie hat darauf geachtet, beim Fotokopieren Handschuhe zu tragen, damit sie keine Fingerabdrücke hinterläßt, nur für den Fall. Den Fall, daß man versuchen sollte, ihr hinterher was anzuhängen. Die Pistole selbst ist, soviel sie weiß, nicht registriert. Schließlich ist sie nur eine Art Souvenir.
    Daneben befindet sich ein weiteres Instrument. Tony hat sich eine der vielen Werkzeugbroschüren, die ihren Rasen ständig verunzieren, zunutze gemacht und eine kabellose Bohrmaschine erstanden, komplett mit Schraubenziehersatz, zu einem Drittel heruntergesetzt. Sie hat so was noch nie benutzt. Sie hat auch noch nie eine Pistole benutzt. Aber es gibt für alles ein erstes Mal. Ihre anfängliche Idee war, die Bohrmaschine zu benutzen, um, falls notwendig, in Zenias Zimmer einzubrechen. Die Scharniere herauszuschrauben oder was auch immer. Aber als sie jetzt in der Halle sitzt, kommt ihr der Gedanke, daß auch die Bohrmaschine potentiell tödlich ist und in diesem Sinn verwendet werden könnte. Wenn es ihr gelänge, Zenia mit einer kabellosen Bohrmaschine zu ermorden, welcher Polizist wäre dann schlau genug, dahinterzukommen?
    Aber über das eigentliche Szenarium ist sie sich noch nicht so ganz im klaren. Wird sie Zenia zuerst anschießen und ihr dann mit der Bohrmaschine den Rest geben? Der umgekehrte Weg wäre beschwerlicher, da sie sich mit der Bohrmaschine hinter Zenia schleichen und sie dann anschalten müßte, und das Surren würde sie verraten. Sie könnte natürlich auch einen beidhändigen Mord begehen, die Pistole in der linken Hand, die Bohrmaschine in der rechten, wie in den Dolch-und-Degen-Kämpfen der Spätrenaissance. Es ist eine Vorstellung, die ihr zusagt.
    Der Haken an der Sache ist bloß, daß Zenia ein gutes Stück größer ist als Tony, und Tony hat es natürlich auf ihren Kopf abgesehen.Symmetrische Vergeltung: Zenias Methode bestand immer darin, ihre Opfer an ihrer empfindlichsten Stelle anzugreifen, und die empfindlichste Stelle ist die, auf die man selbst den größten Wert legt, und Tonys empfindliche Stelle ist ihr Verstand. Dadurch wurde sie damals von Zenia in die Falle gelockt: das war die Versuchung, der Köder. Tony wurde durch ihre eigene intellektuelle Eitelkeit auf den Leim geführt. Sie glaubte, sie hätte eine Freundin gefunden, die genauso intelligent war wie sie. Intelligenter war keine Kategorie.
    Tonys andere empfindliche Stelle ist ihre Liebe zu West, und deshalb ist anzunehmen, daß Zenia sie über den Umweg West angreifen wird. Eigentlich tut Tony das alles nur, um West zu beschützen – er würde es