Die Räuberbraut
herauszuholen. Vorausgesetzt, daß Zenia im Hotel ist. Sie könnte natürlich auch ausgegangen sein.
Als sie sich heute morgen anzog und in ihrem zugigen Badezimmer wusch, fiel Charis ein, daß sie zwar den Namen des Hotels kannte, nicht jedoch Zenias Zimmernummer. Sie konnte natürlich ins Hotel gehen und sich umsehen, durch die Flure wandern und die Türknäufe befühlen; vielleicht würde es ihr gelingen, die elektrischen Schwingungen aufzufangen, indem sie das Metall berührte, vielleicht würde sie Zenias Gegenwart durch die richtige Tür hindurch in ihren Fingerspitzen fühlen können. Aber das Hotel war sicher voller Menschen, und diese anderen Menschen würden Störungen verursachen. Es wäre leicht, einen Fehler zu machen.
Dann, auf der Fähre zum Festland, fiel ihr ein, daß es eine Person gab, die ganz sicher wußte, in welchem Zimmer Zenia wohnte. Larry, Roz’ Sohn, würde es wissen, weil Charis gesehen hatte, wie die beiden gemeinsam das Hotel betraten.
»Das ist der Teil, von dem ich dir eigentlich nichts erzählen wollte«, sagt Charis zu Roz. »Du weißt doch, dieser Tag im Toxique? Ich hab im Kaffay Nwar auf der anderen Straßenseite gewartet. Ich hab sie rauskommen sehen, und dann bin ich ihnen gefolgt.«
»Du bist ihnen gefolgt?« sagt Roz, als sei ihnen sonst noch jemand gefolgt, und als wisse sie, wer.
»Ich wollte sie nur nach Billy fragen«, sagt Charis.
Roz tätschelt ihre Hand. »Natürlich wolltest du das!« sagt sie.
»Ich hab gesehen, wie sie sich auf der Straße geküßt haben«, sagt Charis entschuldigend.
»Es ist okay Baby«, sagt Roz. »Mach dir meinetwegen keine Gedanken.«
»Charis«, sagt Tony voller Bewunderung. »Du bist bedeutend gerissener, als ich gedacht hab!« Die Vorstellung, wie Charis auf Zehenspitzen hinter Zenia herschleicht, erfüllt sie mit Freude, weil sie so unwahrscheinlich ist. Wen immer Zenia im Verdacht hatte, sie zu beschatten, auf Charis wäre sie im Leben nicht gekommen.
Als Charis an diesem Morgen in den Laden gekommen und Shanita weggegangen war, um auf der Bank Kleingeld zu holen, rief sie bei Roz zu Hause an. Falls überhaupt jemand ans Telefon gehen würde, dann Larry, weil die Zwillinge um diese Zeit in der Schule waren und Roz im Büro. Sie behielt recht, es war Larry, der antwortete.
»Hallo Larry, ich bin’s, Tante Charis«, sagte sie. Sie fand es albern, sich selbst Tante zu nennen, aber es war ein Brauch, den Roz eingeführt hatte, als die Kinder noch klein waren, und er war nie wieder aufgegeben worden.
»Oh, hallo, Tante Charis«, sagte Larry. Er klang völlig verschlafen. »Mom ist im Büro.«
»Ich weiß. Ich wollte mit dir sprechen«, sagte Charis. »Ich versuch, Zenia zu finden. Du weißt schon, Zenia, du erinnerst dich sicher noch an sie, aus der Zeit, als du noch klein warst.« (Wie klein war Larry eigentlich gewesen, überlegt Charis. Gar nicht mehr so klein. Wieviel hatte Roz ihm von Zenia erzählt? Nicht allzuviel, hofft sie.) »Wir haben alle zusammen studiert. Und jetzt soll ich sie im Arnold Garden Hotel treffen, aber ich hab ihre Zimmernummer verloren.« Das war eine große Lüge; sie hatte deswegen ein schlechtes Gewissen. Gleichzeitig war sie böse auf Zenia, weil sie sie in diese Lage gebracht hatte. Das war das Ärgerliche an Zenia: sie zog einen auf ihr eigenes Niveau herunter.
Eine lange Pause. »Wieso kommst du damit ausgerechnet zu mir?« sagte Larry schließlich, auf der Hut.
»Oh«, sagte Charis unter Berufung auf ihre übliche Zerstreutheit. »Sie weiß, was für ein schlechtes Gedächtnis ich hab! Sie weiß, wie unorganisiert ich immer bin. Und sie hat gesagt, wenn ich die Nummer verlier, soll ich dich anrufen. Sie hat gesagt, du würdest sie wissen. Es tut mir leid, falls ich dich geweckt hab«, fügte sie hinzu.
»Das war ganz schön doof von ihr«, sagte Larry. »Ich bin nicht ihr Telefondienst. Warum rufst du nicht einfach im Hotel an?« Das ist ungewöhnlich ruppig für Larry. Normalerweise ist er höflicher.
»Das hätte ich ja«, sagte Charis. »Aber du weißt ja, daß sie einen anderen Nachnamen hat als früher, und ich fürchte, ich hab den neuen vergessen.« Das ist eine reine Vermutung – das mit dem neuen Nachnamen –, aber es stimmt offenbar. Tony hat einmal gesagt, daß Zenia wahrscheinlich jedes Jahr einen neuen Namen benutzt. Und Roz sagte darauf, nein, jeden Monat, sie hätte wahrscheinlich ein Abonnement im Name-des-Monats-Club.
»Sie ist in vierzehn-null-neun«, sagte Larry
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