Die Räuberbraut
mehr helfen. Wozu also warten?«
In Charis’ Kehle brodeln die vertrauten Gefühle hoch. O nein, du mußt es versuchen, du mußt versuchen, die positiven ... Sie öffnet den Mund, um die Einladung auszusprechen, Ja, komm, aber irgend etwas hält sie zurück. Es ist der Blick, mit dem Zenia sie beobachtet: ein gespannter Blick, mit seitlich geneigtem Kopf. Ein Vogel, der einen Wurm beäugt.
»Warum hast du mir was vorgemacht, mit dem Krebs?« sagt sie.
Zenia lacht. Sie setzt sich energisch auf. Sie muß wissen, daß sie verloren hat, sie muß wissen, daß Charis ihr nicht glaubt, was Aids angeht. »Okay«, sagt sie. »Bringen wir’s hinter uns. Sagen wir einfach, daß ich wollte, daß du mich in dein Haus aufnimmst, und das schien mir der schnellste Weg zu sein.«
»Es war gemein von dir!« sagt Charis. »Ich hab dir geglaubt! Ich hab mir Sorgen um dich gemacht! Ich hab versucht, dich zu retten!«
»Stimmt«, sagt Zenia unbekümmert. »Aber du kannst mir glauben, ich hab auch gelitten. Wenn ich nur noch ein einziges Glas von diesem widerlichen Kohlsaft hätte trinken müssen, wäre ich tot umgefallen. Weißt du, was ich getan hab, als ich endlich wieder auf dem Festland war? Bei der ersten Gelegenheit bin ich losgezogen und hab eine doppelte Portion Pommes frites und ein schönes, rohes, saftiges Steak gegessen. Ich hätte es sogar inhaliert, so ausgehungert war ich nach rotem Fleisch!«
»Aber du warst krank, du hattest etwas, irgend etwas!« sagt Charis hoffnungsvoll. Auren lügen nicht, und Zenias Aura war krank. Außerdem will sie nicht denken müssen, daß all das viele schöne Gemüse restlos vergeudet war.
»Es gibt einen Trick, den du kennen solltest«, sagt Zenia. »Man muß nur alles Vitamin C aus der Ernährung streichen, und schon hat man die Anfangssymptome von Skorbut. Und da niemand mit Skorbut rechnet, nicht im zwanzigsten Jahrhundert, kommt auch niemand darauf.«
»Aber ich hab dir jede Menge Vitamin C gegeben«, sagt Charis.
»Versuch mal, dir den Finger in den Hals zu stecken«, sagt Zenia. »Wirkt Wunder.«
»Aber warum?« sagt Charis hilflos. »Warum hast du das getan?« Sie fühlt sich so betrogen, um ihre eigene Güte betrogen, ihre eigene Bereitschaft zu helfen. Sie fühlt sich so zum Narren gemacht.
»Wegen Billy natürlich«, sagt Zenia. »Es hatte nichts mit dir persönlich zu tun, du warst nur das Mittel zum Zweck. Ich wollte in seiner Nähe sein.«
»Weil du in ihn verliebt warst?« sagt Charis. Das wär wenigstens verständlich, es hätte wenigstens etwas Positives, weil Liebe eine positive Macht ist. Sie kann verstehen, daß man in Billy verliebt ist.
Zenia lacht. »Du bist so eine rettungslose Romantikerin«, sagt sie. »In deinem Alter solltest du es eigentlich besser wissen. Nein, ich war nicht verliebt in Billy, obwohl der Sex mit ihm Spaß gemacht hat.«
»Spaß?« sagt Charis. Ihrer Erfahrung nach hatte Sex nichts mit Spaß zu tun. Entweder bedeutete er gar nichts, oder er tat weh; oder er war überwältigend, er brachte einen in Gefahr; was der Grund dafür ist, daß sie all die Jahre die Finger davon gelassen hat. Aber er hatte nichts mit Spaß zu tun.
»Ja, das mag für dich eine Überraschung sein«, sagt Zenia, »daß es Leute gibt, die finden, daß Sex Spaß macht. Du nicht, das ist mir klar. Nach dem, was Billy mir erzählt hat, würdest du ein bißchen Spaß nicht erkennen, wenn du drüber stolpern würdest. Er war so ausgehungert nach einem bißchen guten Sex, daß er über mich hergefallen ist, kaum daß ich diese lächerliche Hütte betreten hatte. Was hast du eigentlich geglaubt, was wir gemacht haben, während du auf dem Festland warst, um diese unsäglichen Yoga-Kurse zu geben? Oder unten, um unser Frühstück zu machen, oder draußen, um diese hirngeschädigten Hühner zu füttern?«
Charis weiß, daß sie nicht weinen darf. Zenia mag vielleicht Sex bedeutet haben, aber Charis bedeutete Liebe, für Billy. »Billy hat mich geliebt«, sagt sie unsicher.
Zenia lächelt. Ihr Energiepegel ist jetzt wieder oben, ihr Körper summt wie ein defekter Toaster. »Billy hat dich nicht geliebt«, sagt sie. »Wach endlich auf] Du warst für ihn ein kostenloses Mittagessen! Er hat sich von dir aushalten lassen, obwohl er selbst Geld hatte, vom Haschdealen, aber das ist wohl auch glatt an dir vorbeigegangen. Er hielt dich für eine dumme Kuh, wenn du’s unbedingt wissen mußt. Er hielt dich für so dumm, daß er dachte, du könntest höchstens ein schwachsinniges
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