Die Räuberbraut
mürrisch.
»Warte, das schreib ich mir lieber auf«, sagte Charis. »Vierzehn-null-neun?« Sie wollte so tatterig und vergeßlich wie nur möglich klingen; so sehr wie möglich wie eine tütelige, schrullige Alte, so wenig wie möglich wie eine Bedrohung. Sie wollte nicht, daß Larry Zenia anrief und sie warnte.
Die Bedeutung der Zimmernummer entgeht ihr nicht. Sie weiß, daß Hotels keinen dreizehnten Stock haben, aber er existiert trotzdem. Der vierzehnte Stock ist in Wirklichkeit der dreizehnte. Zenia wohnt im dreizehnten Stock. Aber das Pech, das mit dieser Zahl verbunden ist, könnte durch das Glück, das die Neun mit sich bringt, ausgeglichen werden, denn die Neun ist eine Zahl der Göttin. Aber das Pech wird sich an Zenia heften und das Glück an Charis, weil Charis im Herzen rein ist – oder zumindest versucht, es zu sein –, und Zenia ist es nicht. Im Kopf nachrechnend und sich selbst in Licht hüllend, erreicht Charis das Arnold Garden Hotel und tritt unter die einschüchternde Markise und dann durch die glitzernde Glastür mit ihren Messingbeschlägen, als wäre das alles gar nichts.
In der Halle bleibt sie einen Augenblick stehen, um tief durchzuatmen und sich zu orientieren. Es ist keine schlechte Halle. Obwohl es jede Menge Sitzmöbel aus ermordeten Tieren gibt, stellt sie erfreut fest, daß es auch eine Art pflanzliches Altarbild gibt: getrocknete Blumen. Und durch die Glastür in der hinteren Wand kann sie einen Innenhof mit einem Springbrunnen sehen, der jedoch nicht angeschaltet ist. Sie mag es, wenn städtischer Raum eine etwas natürlichere Richtung einschlägt.
Dann kommt ihr plötzlich ein sehr entmutigender Gedanke. Was, wenn Zenia gar keine Seele hat? Es muß solche Menschen geben, weil im Augenblick mehr Menschen auf der Erde leben, als je zuvor gelebt haben, alle zusammengenommen, seit Anbeginn der Menschheit, und wenn Seelen immer wieder verwendet, sozusagen recycled werden, muß es Menschen geben, die keine abbekommen haben, wie bei der Reise nach Jerusalem. Vielleicht ist Zenia so: seelenlos. Nur eine Art Hülle. Und wie soll Charis in diesem Fall mit ihr umgehen?
Der Gedanke lähmt sie. In seinem Bann bleibt Charis mitten in der Halle stocksteif stehen. Aber sie kann jetzt nicht mehr zurück. Sie schließt die Augen und stellt sich ihren Altar vor, mit den Handschuhen und der Erde und der Bibel, ruft seine Kräfte zu Hilfe; dann macht sie die Augen wieder auf und wartet auf ein Omen. In einer Ecke der Halle steht eine Großvateruhr. Es ist fast Mittag. Charis wartet, bis die beiden Zeiger sich decken und genau nach oben zeigen. Dann steigt sie in den Aufzug. Mit jedem Stockwerk, an dem sie vorbeifährt, schlägt ihr Herz schneller.
Im vierzehnten Stock, eigentlich dem dreizehnten, bleibt sie vor der 1409 stehen. Ein rötlichgraues Licht quillt durch den Ritz unter der Tür und stößt sie mit fühlbarer Macht zurück. Sie legt die Hand an das Holz der Tür, die vor stiller Drohung vibriert. Wie ein Zug, der in der Ferne vorbeifährt, oder eine langsame Explosion, irgendwo weit weg. Zenia muß in diesem Zimmer sein.
Charis klopft.
Nach einem Augenblick, in dem sie Zenias Auge durch das gläserne Guckloch auf sich spürt, öffnet Zenia die Tür. Sie trägt einen Hotelbademantel und hat sich ein Handtuch um den Kopf geschlungen. Sie muß gerade unter der Dusche gewesen sein. Selbst mit dem Frotteeturban auf dem Kopf ist sie kleiner, als Charis sie in Erinnerung hat. Das ist eine Erleichterung.
»Ich hab mich schon gefragt, wo du bleibst«, sagt sie.
»Tatsächlich?« sagt Charis. »Woher hast du gewußt, daß ich kommen würde?«
»Larry hat mir gesagt, daß du unterwegs bist«, sagt Zenia. »Komm rein.« Ihre Stimme ist ausdruckslos, ihr Gesicht müde. Charis ist überrascht, wie alt sie aussieht. Vielleicht liegt es daran, daß sie kein Make-up trägt. Wenn Charis nicht gelernt hätte, keine derartig voreiligen Schlußfolgerungen zu ziehen, würde sie denken, daß Zenia krank ist.
Im Zimmer herrscht ein heilloses Durcheinander.
»Einen Augenblick«, sagt Tony. »Sag das noch mal. Du warst um Punkt zwölf da, und das Zimmer war ein heilloses Durcheinander?«
»Sie war immer unordentlich, als sie bei mir wohnte, damals auf der Insel«, sagt Charis. »Sie hat nie beim Abwaschen oder bei sonstwas geholfen.«
»Aber als ich etwas früher da war, war alles total ordentlich«, sagt Tony. »Das Bett war gemacht. Einfach alles.«
»Bei mir war es nicht gemacht«,
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