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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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ernsthafte Larry in seinem Jungenzimmer mit den Schultrophäen und den Schiffsbildern? Zenia ist eine Lügnerin, ruft sie sich selbst in Erinnerung. Aber sie kann es sich nicht leisten, ihre Geschichte einfach abzutun, denn was wäre, wenn sie – ausnahmsweise einmal – wahr wäre? Die Vorstellung, daß Larry sterben könnte, ist unerträglich. Sie würde es nicht überleben. Der Gedanke ist wie ein Eissplitter in ihrem Herzen; gleichzeitig hat sie das Gefühl, in eine gräßliche Fernsehserie teleportiert zu sein, mit verborgenen Freveln und finsteren Intrigen und schlechter Kameraführung.
    Sie könnte sich hinter Zenia schleichen, ihr eine Lampe oder sonstwas über den Kopf hauen. Sie mit einer Strumpfhose fesseln. Es aussehen lassen wie einen Sexualmord. Sie hat genügend Schundromane dieser Art gelesen, und der Himmel weiß, daß die Geschichte plausibel klingen würde, es wäre genau das trübe Ende, das eine Frau wie Zenia verdient. Sie bevölkert das Zimmer mit Detektiven, zigarrenrauchenden Detektiven, die die Möbel einstauben, um Fingerabdrücke zu suchen, Fingerabdrücke, die sie vorher sorgfältig weggewischt haben wird...
    »Ich hab mein Scheckbuch nicht bei mir«, sagt sie. »Es wird bis morgen warten müssen.«
    »Bargeld wär mir lieber«, sagt Zenia. »Fünfzigtausend, und dabei kommst du noch billig weg; wenn wir keine Rezession hätten, würd ich das Doppelte verlangen. Kleine, gebrauchte Scheine, bitte; du kannst sie per Boten schicken, morgen Vormittag. Aber nicht hierher. Ich ruf dich morgen früh an und sag dir, wohin. Und wenn du nichts dagegen hast, ich hab’s etwas eilig.«
    Roz nimmt den Aufzug nach unten. Plötzlich hat sie mörderische Kopfschmerzen, und abgesehen davon ist ihr schlecht. Es sind die Angst und die Wut, die ihr im Magen liegen wie ein salmonellenverseuchtes Essen. Also , Gott, ist das hier meine Schuld oder was? Ist das das doppelte Kreuz, das ich zu tragen habe? Hast du mit der einen Hand gegeben und nimmst jetzt mit der anderen? Oder denkst du vielleicht, daß das hier ein Witz ist? Nicht zum ersten Mal kommt ihr der Gedanke, daß, wenn alles Teil eines göttlichen Plans ist, Gott einen verdammt verkorksten Sinn für Humor haben muß.

54
    »Was wirst du tun?« sagt Tony. »Zahlen«, sagt Roz. »Was bleibt mir anderes übrig? Außerdem ist es nur Geld.«
    »Du könntest mit Larry reden«, sagt Tony. »Schließlich lügt Zenia das Blaue vom Himmel herunter. Sie könnte sich die ganze Geschichte nur ausgedacht haben.«
    »Erst zahl ich«, sagt Roz. »Dann nimmt Zenia ein Flugzeug. Dann red ich mit Larry.« Ihr fällt auf, daß Tony wenig versteht, wenn es um Kinder geht. Schon fünf Prozent Wahrheit wären zuviel; sie kann das Risiko nicht eingehen.
    »Und was machen wir mit ihr?« sagt Charis.
    »Mit Zenia?« sagt Roz. »Ich persönlich würd sie gerne ein für allemal entfernt sehen, wie eine Warze. Aber ich seh nicht, wie.« Sie steckt sich noch eine Zigarette an, an der Kerze in dem Ständer aus rotem Glas. Charis gibt ein schüchternes Hüsteln von sich und wedelt mit der Hand den Rauch weg.
    »Ich seh nicht«, sagt Tony langsam, »daß es irgend etwas gibt, was wir tun können. Wir können sie nicht zum Weggehen zwingen. Und selbst wenn sie ginge, würde sie zurückkommen, wann immer sie will. Sie ist eine Gegebenheit. Sie ist einfach da, wie das Wetter.«
    »Vielleicht sollten wir Dank sagen«, sagt Charis. »Und um Hilfe bitten.«
    Roz lacht. »Dank wofür? Vielen Dank, Gott, daß du Zenia erschaffen hast? Bloß kannst du dir die Mühe das nächste Mal sparen?«
    »Nein«, sagt Charis. »Dafür, daß sie verschwindet und es uns immer noch gutgeht. Und das tut es, nicht wahr? Keine von uns hat nachgegeben.« Sie weiß nicht genau, wie sie es ausdrücken soll. Sie will sagen, daß sie alle in Versuchung geführt worden sind, jede einzelne von ihnen, aber sie haben ihr nicht nachgegeben. Nachgeben hätte bedeutet, Zenia zu töten, entweder körperlich oder geistig. Und Zenia töten hätte bedeutet, sich in Zenia zu verwandeln. Eine andere Möglichkeit des Nachgebens wäre gewesen, ihr zu glauben, sie durch die Tür einzulassen, sich von ihr vereinnahmen, sich von ihr in Stücke reißen zu lassen. Sie wurden zwar ein bißchen zerrissen, aber das lag nur daran, daß sie nicht tun wollten, was Zenia von ihnen verlangte. »Ich mein...«
    »Ich glaub, ich weiß, was du meinst«, sagt Tony.
    »Also gut«, sagt Roz. »Sagen wir also Dank. Dafür bin ich immer zu haben.

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