Die Räuberbraut
Wem danken wir, und wie machen wir das?«
»Ein Trankopfer«, sagt Charis. »Wir haben alles da, was wir dafür brauchen, sogar die Kerze.« Sie hebt ihr Weißweinglas, in dem noch ein Fingerbreit Wein ist, und gießt ein paar Tropfen auf die rosa Überreste ihres gemischten Sorbets. Dann senkt sie den Kopf und schließt für einen Moment die Augen. »Ich hab um Hilfe gebeten«, sagt sie. »Für uns alle. Jetzt ihr.« Sie hat auch um Vergebung für sie alle gebeten. Sie spürt, daß das richtig ist, aber da sie nicht sagen kann, warum, erwähnt sie es nicht.
»Ich weiß nicht so recht«, sagt Roz. Sie findet es richtig zu feiern – hoffentlich ist es nicht verfrüht, klopf auf Holz –, aber sie wüßte gern, welcher Gott hier angerufen wird – oder vielmehr, welche Version von Gott –, damit sie sich vor Blitzschlägen der anderen Götter hüten kann. Aber sie opfert. Tony auch, die ein bißchen verkrampft lächelt, ihr Beiß-dir-auf-die-Zunge-Lächeln. Dreihundert Jahre früher, denkt sie, wären wir alle auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Aber Zenia zuerst. Ganz ohne Zweifel, Zenia zuerst.
»Ist das alles?« sagt sie.
»Ich schütte immer noch gerne ein wenig Salz in die Flamme«, sagt Charis und tut es.
»Ich hoff nur, daß niemand uns beobachtet«, sagt Roz. »Ich mein, wie lange, bis wir drei echte, beglaubigte, verrückte alte Hexen sind?« Sie fühlt sich ein wenig schwindlig; vielleicht sind es die Kodeinpillen, die sie gegen die Kopfschmerzen genommen hat.
»Sind wir doch schon«, sagt Tony.
»Alte Hexen sind gar nicht so schlecht«, sagt Charis. »Alter ist nur eine Sache der Einstellung.« Sie starrt verträumt auf die Kerze.
»Erzähl das meinem Gynäkologen«, sagt Roz. »Du willst doch nur eine alte Hexe sein, damit du Tinkturen mixen kannst.«
»Das macht sie doch jetzt schon«, sagt Tony.
Plötzlich richtet Charis sich kerzengerade auf. Ihre Augen werden groß. Sie schlägt die Hand vor den Mund.
»Charis?« sagt Roz. »Was ist los, Süße?«
»O mein Gott«, sagt Charis.
»Bekommt sie keine Luft mehr?« sagt Tony. Vielleicht hat Charis einen Herzinfarkt oder sonst einen Anfall. »Klopf ihr auf den Rückenl«
»Nein, nein«, sagt Charis. »Es ist Zenia! Sie ist tot!«
»Was?« sagt Roz.
»Woher weißt du das?« sagt Tony.
»Ich hab es in der Kerze gesehen«, sagt Charis. »Ich hab sie fallen sehen. Sie ist gefallen, ins Wasser. Ich hab es gesehen. Sie ist tot.« Charis fängt an zu weinen.
»Süße, bist du sicher, daß das nicht nur Wunschdenken ist?« sagt Roz mit sanfter Stimme.
»Kommt«, sagt Tony. »Wir fahren ins Hotel. Wir gucken nach. Sonst«, sagt sie zu Roz, über Charis’ Kopf hinweg, den diese in ihren Händen vergraben hat, während sie sich und vor und zurück wiegt, »bekommt keine von uns heut nacht ein Auge zu.« Das stimmt: Charis wird sich Sorgen darüber machen, daß Zenia tot ist, und Tony und Roz werden sich Sorgen über Charis machen. Es ist die kurze Fahrt im Auto wert, das zu umgehen.
Während sie ihre Mäntel anziehen, während Roz die Rechnung begleicht, schluchzt Charis leise vor sich hin. Zum Teil ist es der Schock; der ganze Tag ist ein Schock gewesen, und das hier ist ein noch größerer. Aber zum Teil liegt es auch daran, daß sie mehr gesehen hat, als sie den anderen erzählt hat. Sie hat Zenia nicht nur fallen sehen, eine dunkle Gestalt, die sich in der Luft überschlug, die Haare ausgebreitet wie Federn, während der Regenbogen ihres Lebens aus ihr herauskräuselte wie graue Gaze und sie sich in Schwärze auflöste. Sie hat auch gesehen, wie jemand sie stieß. Jemand hat Zenia über den Rand gestoßen.
Obwohl sie es nicht deutlich sehen konnte, glaubt sie zu wissen, wer die Person war. Es war Karen, die irgendwie zurückgeblieben war; sich in Zenias Zimmer versteckte, wartete, bis Zenia die Tür zum Balkon öffnete und dann hinter sie trat und sie hinunterstieß. Karen hat Zenia ermordet, und Charis ist schuld daran, weil sie Karen von sich ferngehalten hat, getrennt von ihr, weil sie versucht hat, sie auszusperren, weil sie sie nicht eingelassen hat, und die Tränen, die sie weint, sind Tränen der Schuld.
Das ist natürlich nur eine Möglichkeit, das Ganze zu betrachten. Was sie meint, so erklärt Charis es sich selbst, ist, daß sie sich Zenias Tod gewünscht hat. Und jetzt ist Zenia tot. Eine spirituelle Tat und eine reale Tat sind ein und dasselbe, vom moralischen Standpunkt aus betrachtet. Karen-Charis ist eine Mörderin. Sie
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