Die Räuberbraut
einen Tag war sie sogar zum Teil tibetanisch. Sie kann sein, wonach immer ihr zumute ist, denn wer könnte das Gegenteil beweisen?
Wohingegen Charis ein für allemal darauf festgelegt ist, weiß zu sein. Ein weißes Kaninchen. Weiß zu sein wird zunehmend anstrengender. Es sind so viele negative Schwingungen damit verbunden, die aus der Vergangenheit übriggeblieben sind, sich aber auch durch die Gegenwart hindurchziehen, wie die todbringenden Strahlen von Atommülldeponien. Es gibt so viel wiedergutzumachen! Charis bekommt Blutarmut, wenn sie nur daran denkt. In ihrem nächsten Leben wird sie eine Mischung sein, ein Verschnitt, eine energiegeladene Kreuzung, wie Shanita. Dann wird keiner was gegen sie in der Hand haben.
Der Laden öffnet erst um elf. Bis dahin hilft Charis bei der Bestandsaufnahme. Shanita sieht die Regale durch und zählt, und Charis notiert die Zahlen auf einem Klemmhefter. Ein Glück, daß sie ihre Lesebrille gefunden hat.
»Wir werden die Preise senken müssen«, sagt Shanita mit gerunzelter Stirn. »Das Zeug bewegt sich nicht schnell genug. Wir werden ’ne Sonderaktion machen müssen.«
»Vor Weihnachten?« sagt Charis verwundert.
»Es liegt an der Rezession«, sagt Shanita und verzieht den Mund. »Das ist die Realität. Um diese Jahreszeit müssen wir normalerweise die Neubestellungen für Weihnachten aufgeben, richtig? Und jetzt sieh dir diesen ganzen Krempel an!«
Charis tut es: die Regale sind tatsächlich beängstigend voll. »Weißt du, was geht?« sagt Shanita. »Das hier.«
Charis weiß, was sie meint, weil sie in letzter Zeit eine Menge davon verkauft hat. Es ist ein kleines Büchlein, eher eine Broschüre, ein Kochbuch, auf grauem Recyclingpapier mit schwarz-weißen Zeichnungen, ein selbstgemachtes, selbstverlegtes Ding: Querbeet. Suppen und Eintöpfe für Knicker. Ihr persönlich gefällt es überhaupt nicht. Zum einen findet sie Sparsamkeit als Konzept sehr blockierend. Es hat etwas Hartes und Kleinliches, und zum anderen ist »Knicker« ein schmerzliches Wort. Sicher, sie selbst sammelt Kerzenstummel und Wollreste, aber nur, weil sie es will, weil sie etwas Neues daraus machen will, und das ist ein Akt der Liebe der Erde gegenüber.
»Ich brauch mehr Zeug von der Sorte«, sagt Shanita. »Ich denke sowieso daran, den Laden zu ändern. Den Namen, das Konzept, alles.«
Charis wird es schwer ums Herz. »Und wie würdest du ihn nennen?« fragt sie.
»Ich hab an ›Pfennigfuchser‹ gedacht«, sagt Shanita.
»Pfennigfuchser?« sagt Charis.
»Du weißt schon, wie die Ramschläden, die es früher gab, mit lauter Sachen, die nur ein paar Pence kosteten«, sagt Shanita. »Bloß kreativer. Es könnte funktionieren! Vor ein paar Jahren konnte man auf den Impulskäufer setzen. Es war jede Menge verrücktes Geld im Umlauf, die Leute warfen nur so damit um sich. Aber eine Rezession überlebt man nur, wenn man die Leute dazu bringt, Sachen zu kaufen, bei denen es darum geht, wie man nicht kauft. Verstehst du, was ich meine?«
»Aber das Radiance ist so schön!« ruft Charis unglücklich.
»Ich weiß«, sagt Shanita. »Und es hat eine Menge Spaß gemacht, solange es dauerte. Aber schön heißt Luxusartikel. Was glaubst du, wie viele von diesen niedlichen Spielzeugen die Leute in der augenblicklichen Situation kaufen werden? Vielleicht ein paar, aber nur, wenn wir die Preise niedrig halten. In Zeiten wie diesen kappt man unnötige Ausgaben, man senkt die Unkosten, man tut, was man muß. Der Laden hier ist ein Rettungsboot, verstehst du? Er ist mein Rettungsboot, er ist mein Leben. Ich hab verdammt hart dafür gearbeitet, ich weiß, woher der Wind weht, und ich hab nicht die Absicht, mit dem sinkenden Schiff unterzugehen.«
Sie wirkt defensiv. Sie sieht Charis mit ruhigem Blick an – ihre Augen sind heute grün –, und Charis begreift, daß sie selbst ein Unkostenfaktor ist. Wenn die Situation sich zuspitzt, wird Shanita sie kappen und den Laden allein machen, und Charis wird keinen Job mehr haben.
Sie beenden die Bestandsaufnahme und öffnen die Tür, und Shanitas Stimmung schlägt um. Sie ist jetzt freundlich, fast fürsorglich; sie macht einen Morning-Miracle-Tee für sie beide, und sie setzen sich vorne an die Theke und trinken ihn. Da die Kunden den Laden nicht gerade stürmen, nutzt Shanita die Zeit, um sich nach Augusta zu erkundigen.
Zu Charis’ Leidwesen ist Shanita völlig mit Augusta einverstanden; sie findet, daß es schlau von Augusta ist,
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