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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Stadträte eindringt, ohne daß sie sich dessen bewußt sind. Wie Radiowellen.
     
    Als sie die Anlegestelle erreicht, gehen die Leute schon an Bord, allein oder zu zweit; es ähnelt einer Prozession, dieses An-Bord-Gehen, dieser Übergang von Land zu Wasser. Genau hier hat sie Billy zum letzten Mal gesehen; und auch Zenia, in Fleisch und Blut. Die beiden waren schon an Bord, und als Charis schwerfällig angelaufen kam, keuchend, die Hände um den Bauch gelegt, damit er sich nicht von ihrem Körper löste, es war gefährlich, so schnell zu laufen, sie hätte fallen und das Baby verlieren können, zogen die Fährleute schon die Laufbrücke hoch, die Fähre hupte und setzte zurück, das tiefe Wasser strudelte wie ein Whirlpool. Sie hätte nicht hinüberspringen können.
    Billy und Zenia berührten sich nicht. Zwei fremde Männer waren bei ihnen; oder jedenfalls standen zwei fremde Männer gleich neben ihnen. Männer in Mänteln. Billy sah sie. Er winkte nicht. Er wandte sich ab. Zenia rührte sich nicht. Ihre Aura war dunkelrot. Die Haare wehten ihr um den Kopf. Die Sonne stand hinter ihr, so daß sie kein Gesicht hatte. Sie war eine dunkle Sonnenblume. Der Himmel war unglaublich blau. Die beiden wurden kleiner, entfernten sich.
    Charis erinnert sich nicht mehr an den Laut, der aus ihr hervorbrach. Sie will sich nicht daran erinnern. Sie versucht, das Bild der beiden immer kleiner werdenden Gestalten festzuhalten, ein aus der Zeit herausgerissener Augenblick, erstarrt und ohne Inhalt, wie eine Ansichtskarte, auf deren Rückseite nichts geschrieben steht.
     
    Sie geht zum Hauptdeck und konzentriert sich auf den »Übergang«. In der Tasche ihrer Strickjacke hat sie eine Brotrinde; sie wird sie an die Möwen verfüttern, die bereits kreisen, sie beäugen, Schreie ausstoßen wie hungrige Geister.
    Vielleicht geht man gar nicht durch einen Tunnel in das Licht ein, denkt sie. Vielleicht muß man ein Boot nehmen, wie die Menschen im Altertum glaubten. Man zahlt den Fahrpreis, man setzt über, man trinkt aus dem Fluß des Vergessens. Dann wird man wiedergeboren.

9
    Der Laden, in dem Charis arbeitet, nennt sich Radiance.
    Er verkauft Kristalle aller Art, große und kleine, zu Anhängern oder Ohrringen verarbeitet, oder einfach so, und Muscheln; und Duftöle, die aus Ägypten und Südfrankreich importiert werden, und Weihrauch aus Indien, und organische Körperlotionen und Duschgels aus Kalifornien und England, und Beutelchen mit Baumrinde und Kräutern und getrockneten Blüten, hauptsächlich aus Frankreich, und Tarotkarten in sechs verschiedenen Mustern, und afghanischen und thailändischen Schmuck, und Kassetten mit New-Age-Musik, auf denen jede Menge Harfen und Flöten zu hören sind, und CDs mit Meeresbrandung und Wasserfällen und den Rufen von Eistauchern, und Bücher über indianische Spiritualität und die medizinischen Geheimnisse der Azteken, und perlmuttbesetzte Eßstäbchen und Lackschalen aus Japan, und winzige Schnitzereien aus chinesischer Jade, und handgemachte Grußkarten aus Recyclingpapier mit aufgeklebten Arrangements aus getrockneten Gräsern, und Päckchen mit wildem Reis, und koffeinfreien Tee aus acht verschiedenen Ländern, und Halsketten aus Kaurimuscheln, getrockneten Samen, polierten Steinen und geschnitzten Holzperlen.
    Charis kann sich noch aus den sechziger Jahren an den Laden erinnern. Damals hieß er The Blown Mind Shoppe und war auf Haschischpfeifen und psychedelische Poster und Jointclips und gebatikte Unterhemden und Dashikis spezialisiert. In den siebziger Jahren hieß er dann Okkult und führte Bücher über Dämonologie und alte Frauenreligionen und Wicca und die verlorenen Königreiche von Atlantis und Mu, und ein paar nicht sehr ansprechende Artefakte aus Knochen, und übelriechende – und Charis’ Meinung nach nicht authentische – Beutel mit zerstoßenen Tierteilen. Es gab einen ausgestopften Alligator im Fenster, und eine Zeitlang wurden sogar zottelige Ungeheuer-Perücken und Horror-Schminkkästen verkauft, mit künstlichem Blut und Narben zum Aufkleben. Es war ein Tiefpunkt für den Laden, obwohl er in der Punk-Szene sehr beliebt war.
    Anfang der Achtziger veränderte er sich noch einmal. Damals übernahm Shanita den Laden, der immer noch Okkult hieß. Sie trennte sich sehr schnell von dem ausgestopften Alligator und den Knochen und den Dämonologie-Büchern – man mußte den Ärger ja nicht unbedingt provozieren, sagt sie, und sie konnte darauf verzichten, daß die

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