Die Räuberbraut
großartiger Name für einen Lippenstift! Eine große Serie von Namen, Namen von Flüssen, die überquert wurden, schicksalhaft überquert; eine Mischung aus Verbotenem, und Mut, und Wagnis, und einem Hauch von Karma. Rubikon, ein leuchtendes Rot, wie die Beeren der Stechpalme. Jordan, ein sattes Traubenrot. Delaware, Himbeere mit einem Hauch von Blau – oder klingt der Name ein bißchen zu affektiert? Saint Lawrence – ein intensives Pink, wie Feuer und Eis – nein, stop, unmöglich, Heilige gehen nicht. Ganges, ein gleißendes Orange. Zambesi, ein sattes Kastanienbraun. Wolga, jenes düstere Purpur, das die einzige Lippenstiftfarbe war, die diese armen, darbenden russischen Frauen in die Finger bekamen, jahrzehntelang – aber jetzt sieht Roz eine große Zukunft dafür, die Farbe wird avantretro werden, ein Sammelobjekt, wie die Statuen von Stalin.
Roz unterhält sich weiter mit Tony, aber im Geist ist sie mit wilden Plänen beschäftigt. Sie sieht die Fotoaufnahmen schon vor sich, weiß schon, wie die Modelle aussehen sollen: verführerisch, das versteht sich von selbst, aber auch kämpferisch, ein Blick, der das Schicksal herausfordert! Was war es noch mal, was Napoleon überquerte? Nur die Alpen, keine denkwürdigen Flüsse, Pech. Vielleicht ein paar Ausschnitte aus historischen Gemälden im Hintergrund, jemand, der eine flatternde, zerfetzte Fahne schwenkt, auf einem Hügel – es ist immer ein Hügel, nie, beispielsweise, ein Sumpf – und drumherum Rauch und lodernde Flammen. Ja! So stimmt es! Die Dinger werden Weggehen wie warme Semmeln! Und sie braucht nur noch eine letzte Nuance, um die Palette komplett zu machen: ein schwüles Braun, mit einem schwelenden, düsteren Unterton. Was wäre der richtige Fluß dafür?
Styx. Alles andere wäre undenkbar.
In diesem Augenblick sieht Roz den Ausdruck auf Tonys Gesicht. Es ist keine Angst, keine richtige Angst; mehr ein Aufmerken, ein Konzentrieren, ein stummes, drohendes Knurren. Wenn Tony Nackenhaare hätte, würden sie sich sträuben, wenn sie Lefzen hätte, würde sie sie blecken. Dieser Ausdruck ist so untypisch für die normale Tony, daß er Roz zu Tode ängstigt.
»Tony, was ist 7 « fragt sie.
»Sieh dich um, aber langsam«, sagt Tony. »Und schrei nicht.«
O Scheiße. Sie ist es. Leibhaftig.
Roz hat keinen Zweifel, nicht einen Augenblick. Wenn es jemanden gibt, der von den Toten zurückkehren kann, wenn es jemanden gibt, der entschlossen genug ist, das zu tun, dann Zenia. Und sie ist zurück, sie ist wieder da. Sie ist wieder in der Stadt, wie der Typ mit dem schwarzen Hut in den Westernfilmen. Die Art, wie sie durch den Raum schreitet, verrät, wie sehr sie sich ihres Auftritts bewußt ist, macht klar, daß sie dabei ist, ihr Territorium abzustecken: ein winziges, verächtliches Lächeln mit leicht nach oben gezogenen Mundwinkeln, ein beabsichtigtes Vorschieben des Beckens, als hätte sie zwei Revolver mit Perlmuttgriffen um die Hüften geschlungen und warte nur auf einen Vorwand, sie benutzen zu können. Ihr Parfüm schwebt hinter ihr her wie der Rauch einer anmaßenden Zigarre. Während die drei sich an ihrem Tisch zusammenducken, Feiglinge allesamt, und so tun, als hätten sie nichts gesehen, und jeden Augenkontakt vermeiden, und sich benehmen wie die Leute auf der Main Street, die hinter der Theke mit den Stoffballen in Deckung gehen, um nicht in die Schußlinie zu geraten.
Roz bückt sich nach ihrer Tasche, wirft über ihre gesenkte Schulter einen verstohlenen Blick in Zenias Richtung, taxiert sie, während Zenia graziös auf einen Stuhl sinkt. Zenia ist immer noch eine Schönheit. Die Tatsache, daß Roz weiß, wieviel an ihr künstlich ist, ändert nichts daran. Wenn man sich verändert, wird die Veränderung zur Wahrheit: wer wüßte das besser als Roz, deren Haarfarbe jeden Monat wechselt? Derartige Dinge sind keine Illusionen, es sind Transformationen. Zenia ist keine flachbrüstige Frau mit Implantaten mehr, sie ist ein vollbusiges Klasseweib. Das gleiche gilt für die Nasenkorrektur, und falls Zenias Haare allmählich grau werden, so ist nichts davon zu sehen, sie muß einen Friseur der absoluten Spitzenklasse haben. Du bist das , was die anderen sehen. Wie ein renoviertes Gebäude ist Zenia nicht mehr das Original, sie ist das Endresultat.
Trotzdem kann Roz sich die Nahtstellen vorstellen, die Nadelspuren überall dort, wo die Frankensteinärzte am Werk waren. Sie kennt die Verwerfungsfalten, an denen Zenia aufplatzen könnte.
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